Frau Busch-Heizmann, Frau Shajek, welche Faktoren haben darüber entschieden, ob Unternehmen die Risiken der Corona-Krise abwenden oder ihre Chancen nutzen konnten?
Anne Busch-Heizmann: Bei der Bewältigung der Krise haben die Möglichkeiten der Digitalisierung durchweg eine große Rolle gespielt. Unter anderem in der Pflege wurden bestimmte Prozesse teils effizienter gestaltet, um Zeit zu sparen – die aufwändigen Dokumentationsprozesse zum Beispiel. Viele Einrichtungen der Gesundheit haben die externe und interne Kommunikation durch digitale Tools verbessert.
Alexandra Shajek: Um die Chancen in der Krise zu nutzen, war es wichtig, dass die digitale Infrastruktur vorhanden ist. Das war bei den in unserer Studie betrachteten Organisationen überall gegeben, in der Regel, weil es vorher schon prinzipiell die Möglichkeit gab, mobil zu arbeiten. Fallübergreifend waren zudem insbesondere soziale und personale Kompetenzen der Beschäftigten wichtig: Die große Flexibilität, Offenheit und Veränderungsbereitschaft der Belegschaft waren erfolgskritisch, aber auch ein gutes Selbstmanagement, gerade im Homeoffice, Eigeninitiative und – vor allem auf Seiten der Führungskräfte – hohes Einfühlungsvermögen und gute Kommunikationskompetenzen. Für Führungskräfte war es in der Pandemie zentral, Konflikte auch aus der Distanz heraus wahrnehmen und lösen zu können.
Busch-Heizmann: Daneben waren auch fachliche Kompetenzen entscheidend, zum Beispiel in der Gesundheitsbranche. Den Mitarbeitenden war der Sinn der Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln klar, wodurch sie besonders zielführend mit ihnen umgehen konnten.
Im Rahmen der Begleitforschung zur Arbeitsweltberichterstattung hat das iit in jeweils vier Fallstudien für die Branchen Einzelhandel, Gesundheit, ÖPNV, öffentliche Verwaltung und unternehmensnahe Dienstleistungen untersucht, wie sich die Pandemie auf die betriebliche Transformation ausgewirkt hat. Dazu haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl das Management als auch die Arbeitnehmerseite befragt. Lesen Sie hier alle Ergebnisse der Studie.
Welche Veränderungen werden auch über die Pandemie hinaus Bestand haben?
Shajek: Alle Unternehmen und Einrichtungen in unserer Studie haben neue Routinen der Zusammenarbeit entwickelt, insbesondere über das mobile Arbeiten. Diese Routinen sind zum Teil schon zu einer neuen Normalität in den Organisationskulturen geworden. Je nach Branche oder persönlicher Lebenssituation sehen Beschäftigte darin eher Vor- oder Nachteile: Pendlerinnen und Pendler oder Beschäftigte mit Familienpflichten profitieren natürlich enorm von der Flexibilität durch Homeoffice und digitale Kommunikation.
Busch-Heizmann: Gleichzeitig haben sich bestimmte Nachteile gezeigt. Einzelnen fällt es zum Beispiel beim Arbeiten von zu Hause schwer, die Balance zwischen Arbeit und Freizeit herzustellen. Je nach Branche haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das mobile Arbeiten besser oder schlechter angenommen und auch kritisch hinterfragt, was das für das soziale Miteinander heißt. Auch für Führungskräfte war es eine Herausforderung, den Kontakt zu halten und die Arbeitslasten gerecht zu verteilen. Generell haben die Befragten über alle Branchen aber erkannt, dass in den meisten Fällen durch Arbeiten, die gut außerhalb des Arbeitsplatzes und solche, die besser am Arbeitsplatz der Organisationen erledigt werden, Kompromisse zwischen mobilem und Präsenz-Arbeiten möglich sind.
„Beschäftigte haben kritisch hinterfragt, was das mobile Arbeiten für das soziale Miteinander heißt.“
Shajek: Es gab anfangs vor allem in unserer ersten Interviewrunde eine Euphorie darüber, dass es mit dem mobilen Arbeiten so gut klappt. Dann setzte jedoch häufig Ernüchterung ein, viele Beschäftigte und Führungskräfte haben zunehmend auch die Nachteile dieser neuen digitalen Organisation von Arbeit erkannt. Mit Blick auf die Zukunft suchen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber momentan noch nach tragfähigen Lösungen, die sowohl die Vorteile des Homeoffice als auch der Büroarbeit kombinieren.
Die Arbeitssoziologin Dr. Anne Busch-Heizmann arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am iit und leitete das Projekt der Corona-Fallstudien für die Begleitforschung zur Arbeitsweltberichterstattung des BMAS. Nach ihrer Promotion arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) und an der Universität Bielefeld. Zudem lehrte sie im Rahmen einer Juniorprofessur für Soziologie an der Universität Hamburg und übernahm eine Professur für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen.
Wie gut ist die Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung und den Beschäftigten oder deren Interessenvertretungen bei der Bewältigung der Covid-19-Krise gelaufen?
Busch-Heizmann: Der Wunsch nach Abstimmung und Transparenz war auf beiden Seiten sehr hoch. Dasselbe gilt für das Engagement. Dabei zeigt sich beispielsweise in verschiedenen Fällen der öffentlichen Verwaltung eine eingespielte Kultur der Mitbestimmung . Im Ergebnis konnten wir dort eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und eine hohe Flexibilität bei den Personalräten beobachten. Auch in anderen Branchen wie der Gesundheitsbranche hat sich die Mitbestimmung im Krisenmanagement häufig bewährt: Personal- und Betriebsräte spielten sowohl bei Entscheidungsprozessen als auch bei der Information der Beschäftigten eine wichtige Rolle. Gleichzeitig mussten in der Krise schnell Entscheidungen getroffen werden, so dass es teilweise eine Balance zwischen Schnelligkeit und Partizipation brauchte.
„Die Belastungen der Pandemie haben den Zusammenhalt in den Betrieben gestärkt.“
Dr. Alexandra Shajek ist Bildungswissenschaftlerin und Organisationspsychologin und leitet bei der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH die Gruppe „Bildung und Arbeit“. Am iit ist sie derzeit stellvertretende Projektleiterin des Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs 2025 und der Innovationsunterstützenden Maßnahmen zum Bund-Länder-Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin und Gastwissenschaftlerin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP).
Gab es auch Schwierigkeiten in der Kooperation von Geschäftsführung und Interessenvertretungen?
Shajek: Ich kann mich an einen Fall erinnern, in dem der Austausch zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung in der Pandemie deutlich gelitten hat und ganz neu organisiert werden musste. Und schwieriger war natürlich auch die Integration neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in die Belegschaft. Aber man muss wirklich sagen, dass in den allermeisten Fällen unserer Studie von einer großen Solidarität unter den Beschäftigten berichtet wurde und alle Seiten die Krise zusammen gut gemeistert haben.
Busch-Heizmann: Ganz wichtig war es, dass die Beschäftigten bei der Umsetzung von Krisenregelungen unterstützt wurden. Wo sie sich mehr Unterstützung wünschten, konnte es auch schon mal kritische, aber generell konstruktive Aushandlungsprozesse geben.
Shajek: Manche befürchtete Schwierigkeit ist auch gar nicht eingetreten. Einzelne Befragte der Arbeitgeberseite haben zum Beispiel festgestellt, dass die erwarteten Produktivitätsverluste sich nicht zeigen, sondern die Produktivität sich in der Tendenz sogar eher erhöht hat. Von gesunkener Produktivität hat hingegen niemand berichtet.