Seit der Wiedervereinigung ist die Bevölkerung in Deutschland überwiegend gewachsen und lag Ende 2021 nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes bei 83,2 Millionen Menschen (Destatis, 2022). Ein auf den ersten Blick überraschender Trend, denn seit 1972 starben in Deutschland jährlich mehr Menschen als geboren wurden (Bevölkerung und Demografie Datenreport 2021, S. 17). Allein ein positives Wanderungssaldo, also mehr Zu- als Abgewanderte, hat die Schrumpfung der Bevölkerung bislang aufgehalten. So ist die Bevölkerung in Deutschland zwischen 1991 und 2021 um etwa 9,2 Millionen Menschen gewachsen.
Seit 2010 geben Modellschätzungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) Antworten darauf, wie sich Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt in Zukunft entwickeln werden.
Im September 2022 waren rund 45,6 Millionen Menschen mit Wohnsitz in Deutschland erwerbstätig (inkl. Kurzarbeit ) (Destatis, 2022). Der bisherige Höchstwert vom November 2019 wurde damit um 0,3 Prozent überschritten. Die Beschäftigung in Deutschland befindet sich auf einem historischen Hoch. Damit dürfte der positive Trend aber seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht haben. So gehen die Vorausberechnungen zur Entwicklung der Erwerbspersonen zwischen 15 und 74 Jahren des Statistischen Bundesamtes (2020) davon aus, dass die Erwerbsbevölkerung - je nach zugrundeliegenden Annahmen -, bis zum Jahr 2060 um rund 2 bis 10 Millionen im Vergleich zum Referenzjahr 2019 schrumpfen wird. Wie stark die Erwerbsbevölkerung letztlich zurück geht, hängt unter anderem davon ab, wie sich der ebenfalls fortschreitende demografische Wandel in vielen Herkunftsländern von Migrantinnen und Migranten auf die Nettozuwanderung nach Deutschland auswirken wird. Mehr über die Bedeutung der Zuwanderung zur Fachkräftesicherung lesen Sie hier.
Weiterhin ist ausschlaggebend, inwieweit Menschen in Deutschland zur Erwerbsbeteiligung aktiviert werden können und sich insbesondere die Beschäftigung von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Frauenerwerbstätigkeit weiter steigern lässt. Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit und weitere Fakten zur Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt finden Sie in unserer Data Story: Frauen und Gleichstellung am Arbeitsmarkt.
Der Blick zurück zeigt, dass sich auch in den letzten Jahrzehnten das Arbeitskräfteangebot bereits deutlich gewandelt hat. Ein großer Anteil des Beschäftigungszuwachses der letzten Jahre ging auf Ältere zurück. Die Anzahl der über 55-jährigen stieg von 2013 bis 2020 von 4,8 auf 7,3 Millionen (Koneberg/Jansen, 2022). Das entspricht einem Anstieg von gut 50 Prozent, während die Beschäftigtenzahl im gleichen Zeitraum über alle Altersgruppen lediglich um 14 Prozent anstieg. Der Altersdurchschnitt ist in fast allen Berufshauptgruppen gestiegen (Drescher/Brussig, 2020). Zum einen ist dafür die Alterung in der Bevölkerung verantwortlich. Aber auch eine steigende Erwerbsneigung von Älteren, die teilweise durch das Auslaufen von Frühverrentungsanreizen bedingt ist, trägt dazu bei. So stieg die Erwerbsquote bei Personen im Alter von 55 bis unter 60 Jahren in den letzten zehn Jahren um etwa sechs Prozentpunkte auf 83,5 Prozent im Jahr 2020 (BA, 2022, S. 10). Aber das Erwerbsvolumen der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleibt ausbaufähig. Viele arbeiten in Teilzeit . Je näher die Rente rückt, je stärker ziehen sich Ältere aus der Vollzeitarbeit zurück. Aber in den kommenden Jahren ist der Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge in das Rentenalter ein Haupttreiber für die vorausgesagte Schrumpfung der Erwerbspersonenanzahl.
Zusätzlich zu einem Alterungseffekt ist der Wandel des Arbeitskräfteangebots in den letzten Jahrzehnten auch durch einen Anstieg an Personen mit Migrationshintergrund und durch mehr erwerbstätige Frauen geprägt.
Auch bei der Anzahl der Abgängerinnen und Abgänger allgemeinbildender Schulen zeigt sich der demografische Wandel: So verließen 2020 rund 115.400 Schülerinnen und Schüler weniger die allgemeinbildenden Schulen als noch vor zehn Jahren. Dabei sank der Anteil an Abgängerinnen und Abgängern mit Hauptschulabschluss von 20,8 Prozent in 2010 auf 16,5 Prozent im Jahr 2020.
Bei den 19- bis unter 25-Jährigen stieg im Jahr 2020 im Vergleich zum Jahr 2010 die Beteiligung an Hochschulbildung um 8 Prozentpunkte auf 28 Prozent, während der Anteil von Menschen in allgemeinen oder beruflichen Bildungsgängen jeweils um 2 Prozentpunkte sank (Bildung in Deutschland 2022, S.76). Neben einem statistischen Effekt aufgrund der Schulreformen und teilweisen Umstellung von G9 auf G8 lassen die Zahlen auch einen deutlichen Akademisierungstrend im Arbeitskräfteangebot erkennen.
Gleichzeitig sinken die Bewerberzahlen auf Ausbildungsstellen und Betriebe, die ausbilden, seit Jahren und auch die Zahl der Ausbildungsabschlüsse ist rückläufig - jüngst noch einmal verstärkt auch durch schwierige Ausbildungsbedingungen während der Pandemie (Tabelle 1; vgl. auch Fitzenberger et al. 2022). Dabei passen Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt nicht immer gut zusammen, wie auch die hohe Anzahl an unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern zeigt. Auf der einen Seite stellen Bewerberinnen und Bewerber mit höherer Vorbildung höhere Ansprüche an die Arbeitsbedingungen und Vergütungsperspektiven ihres Ausbildungsbetriebs. Auf der anderen Seite steigt die Anzahl an Jugendlichen ohne Hochschulzugangsberechtigung oder mittleren Schulabschluss, die keine Ausbildungsstellen erhalten und im sogenannten Übergangssystem landen.
Berichtsjahr | Bewerber:innen | Berufsausbildungsstellen | Unversorgte Bewerber:innen | Ausbildende Betriebe* |
---|---|---|---|---|
2022 | 422.400 | 545.960 | 22.690 | - |
2021 | 433.540 | 522.870 | 24.610 | 386.376 |
2020 | 472.980 | 535.910 | 29.350 | 397.974 |
2019 | 511.800 | 576.980 | 24.530 | 390.888 |
2018 | 535.620 | 569.920 | 24.540 | 388.812 |
2017 | 547.820 | 548.910 | 23.710 | 390.554 |
2016 | 547.730 | 550.220 | 20.550 | 391.708 |
2015 | 549.100 | 538.740 | 20.710 | 395.874 |
2014 | 559.430 | 532.990 | 20.870 | 404.280 |
2013 | 561.170 | 527.520 | 21.030 | 407.329 |
2012 | 561.780 | 538.340 | 15.640 | 415.345 |
© Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Datenstand 14.11.2022 Berichtsmonat September;
Quelle: Ausbildungsmarkt - Statistik der Bundesagentur für Arbeit (arbeitsagentur.de)
* Quelle: Betriebe nach Betriebsgrößenklassen - Statistik der Bundesagentur für Arbeit (arbeitsagentur.de)
(Stichtag jeweils 30.06.)
Es zeigt sich, dass der demografische Wandel das Arbeitskräfteangebot in den letzten Jahrzehnten bereits deutlich geprägt hat. Immer drängender stellt sich daher die Frage, wie mit einem sinkenden Arbeitskräfteangebot umgegangen werden kann und Menschen in Arbeit gebracht und gehalten werden können. Hierfür braucht es betriebliche Strategien und gesetzliche Regelungen, die ineinandergreifen, um zu verhindern, dass ein Arbeitskräftemangel die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland lahmlegt.