In vielen Betrieben in Deutschland blieben Stellen in den vergangenen Jahren zunehmend länger unbesetzt: Bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Stellen waren 2021 fast doppelt so lange offen wie noch 2008. Insbesondere in Berufsgruppen, für die ein beruflicher Abschluss erforderlich ist, also Fachkräfte gebraucht werden, ist Personal schwer zu finden. Besonders spürbar werden die Fachkräfteengpässe , seit immer mehr Beschäftigte geburtenstarker Jahrgänge in Rente gehen.
Zu Beginn der Corona-Pandemie fielen die Engpässe allerdings weniger auf. Die Bundesagentur für Arbeit wies in ihrer Fachkräfteengpassanalyse für das Jahr 2020 insgesamt weniger Berufe mit Engpässen aus – so waren es nur 131 Berufsgattungen, während im Jahr zuvor noch 185 Berufsgattungen von Fachkräfteengpässen betroffen waren. Das liegt vor allem daran, dass die Stellenausschreibungen pandemiebedingt stark zurückgegangen sind. Die demografische Entwicklung wird die Engpässe aber aller Voraussicht nach künftig weiter verschärfen. Vor allem medizinische Berufe, Pflegeberufe (insbesondere Altenpflege), Bau- und Handwerksberufe (insbesondere Klempnerei, Sanitär, Heizung und Klimatechnik) und IT-Berufe sind von Engpässen betroffen – vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft und den infrastrukturellen und digitalen Herausforderungen mit steigender Tendenz. Die Fachkräfteengpässe hängen allerdings nicht nur mit der demografischen Entwicklung zusammen, sondern auch mit den unterschiedlichen Lohn- und Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen. Eine aktuelle Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) zur Bauwirtschaft zeigt, dass in der Baubranche trotz Boom viele Lehr- und Arbeitsstellen unbesetzt bleiben, weil die Bauarbeit für die Beschäftigten nicht attraktiv genug ist.
Die Zuwanderung von Fachkräften ist für Deutschland wichtig, um den Fachkräftebedarf langfristig zu sichern. Die meisten Zuwanderer kommen aus dem europäischen Ausland (siehe dazu auch unsere Infografik über die Entwicklung ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland). Allerdings ähnelt die Altersstruktur in vielen europäischen Ländern der deutschen und die Fachkräftesituation ist gleichermaßen angespannt. Daher wird die Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern zur Fachkräftesicherung künftig an Bedeutung gewinnen. Um im internationalen Wettbewerb um die besten Fachkräfte zu bestehen, braucht es gute und attraktive Arbeitsbedingungen in Deutschland, transparente Anerkennungsverfahren ausländischer Abschlüsse, und anerkennungsbezogene Qualifizierungsmaßnahmen.
Bereits heute machen Migrantinnen und Migranten (die im Folgenden analog zur zugrundeliegenden Studie von Hickmann et al. (2021) nur Personen mit ausschließlich nicht deutscher Staatsangehörigkeit umfasst) einen bedeutenden Anteil des Arbeitskräfteangebotes aus. Etwa 1,9 Millionen von ihnen waren im Jahr 2020 als Fachkräfte beschäftigt. Migrantinnen und Migranten arbeiten zudem immer häufiger in Engpassberufen. In der Altenpflege hatten 2013 gerade einmal 4,2 Prozent der Beschäftigten eine ausländische Staatsangehörigkeit. Im Jahr 2020 waren es bereits 8,2 Prozent (Hickmann et al., 2021).
Unsere Tabelle zeigt die Fachkraftberufe, in denen im Jahr 2020 die meisten Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit beschäftigt waren. Das trifft auf rund 23,6 Prozent der Berufskraftfahrerinnen und -fahrer im Jahr 2020 zu. Da die Stellenausschreibungen im Jahr 2020 pandemiebeding stark zurückgegangen sind, dient das Jahr 2019 als Grundlage für die Engpassrelation. Die Engpassrelation zeigt, dass 2019 auf 100 offene Stellen gerade einmal 56 arbeitslose Berufskraftfahrerinnen und -fahrer kamen. Auch bei der Gesundheits- und Krankenpflege deutet die Relation mit 21 Arbeitslosen auf 100 offenen Stellen auf Engpässe hin. Hier arbeiten im Jahr 2020 mehr als 51.000 Migrantinnen und Migranten – rund 8 Prozent aller Beschäftigten dieser Berufsgruppe.
Die Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit gibt Auskunft darüber, ob verfügbare Arbeitskräfte für bestimmte Berufe knapp sind. Da sich die Engpässe nicht mit einer einzelnen Kennzahl messen lassen, werden mehrere Indikatoren herangezogen. Dazu zählten bis 2018 im Kern die abgeschlossene Vakanzzeit , die Arbeitslosen-Stellen-Relation und berufsspezifische Arbeitslosenquoten. In der seitdem weiterentwickelten Engpassanalyse wurde das Indiaktorenset u. a. um die Abgangsrate aus Arbeitslosigkeit erweitert und neue Grenzwerte festgelegt (zur Methodik siehe Fachkräfteengpassanalyse 2020, 7 ff.).
Im März 2020 trat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft, um die Zuwanderung für Hochschulabsolventinnen und -absolventen und Menschen mit qualifizierter Berufsausbildung aus Nicht-EU-Ländern rechtlich zu erleichtern. Das Gesetz regelt, wer zu Arbeits- und Ausbildungszwecken nach Deutschland kommen darf und vereinfacht den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt beispielsweise durch den Verzicht auf die bisherige Vorrangprüfung. Damit müssen Arbeitgeber nicht mehr vor jeder Einstellung einer Fachkraft aus einem Nicht-EU-Land prüfen, ob inländische oder europäische Bewerberinnen oder Bewerber zur Verfügung stehen. Die Ampelregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag 2021 zudem angekündigt, den Zugang für Zuwanderinnen und Zuwanderer auf dem deutschen Arbeitsmarkt über die Einführung einer Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems weiter zu vereinfachen.