Menschen mit Migrationshintergrund sind eine immer wichtigere Gruppe am Arbeitsmarkt in Deutschland: Ein Viertel der Menschen in Deutschland hat inzwischen Migrationserfahrung. Wir haben mit Evelien Willems, Expertin für die berufliche Integration Zugewanderter am Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb), darüber gesprochen, wie einfach sie Arbeit finden und welche Möglichkeiten es für die Anerkennung ihrer Qualifikationen gibt.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden für die Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten? Und welche Maßnahmen müssten zum Abbau dieser Hürden intensiviert werden?
Evelien Willems: Es ist sehr wichtig, immer im Hinterkopf zu behalten, dass die Menschen mit Migrationshintergrund eine sehr heterogene Gruppe mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, Vorkenntnissen und Bedarfen sind. Was sich aber bei unserer Arbeit zur Arbeitsmarktintegration von Migranten herausstellt, z. B. im Förderprogramm IQ: Es gibt allgemeine Herausforderungen. So haben eingewanderte Personen häufig Wissensnachteile. Sie sind nicht im deutschen Bildungs- und Beschäftigungssystem aufgewachsen, kennen sich damit vielleicht nicht ganz perfekt aus und haben auch nicht immer die beruflichen und sozialen Netzwerke wie die Einheimischen. Eine weitere Herausforderung ist, sich mit Deutsch als Fremdsprache am Arbeitsmarkt zurechtzufinden. Auch die Transparenz der Qualifikation ist ein Thema, nicht nur bei formalen, sondern auch nicht-formal und informell erworbenen Qualifikationen. Und es bestehen immer noch Hürden der Diskriminierung, von der Unterschätzung der Fähigkeiten bis zu wirklichen Diskriminierungserfahrungen. Schließlich gibt es rechtliche Bedingungen: Gerade Gestattete und Geduldete haben durch ihren Aufenthaltsstatus nicht denselben Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Förderangeboten wie Geflüchtete mit sicherem Aufenthaltsstatus oder guter Bleibeperspektive.
Um diese Hürden zu überwinden, ist die Einsicht wichtig, dass es hier nicht um eine Randgruppe geht: Ein Viertel der Bevölkerung hat Migrationserfahrung. Wir brauchen deshalb migrationssensible Begleitung und Beratung, die die eben genannten Herausforderungen kennt und zum Beispiel mit sprachlicher und interkultureller Kompetenz, Empowerment und potenzialorientierten Beratungsansätzen auf diese Gruppe eingehen kann. Und zwar vor allem an den Übergängen – von der Schule in den Beruf oder von außerhalb in den deutschen Arbeitsmarkt.
Wie schwierig gestaltet sich die Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen?
Willems: Ich denke, dass wir dafür in Deutschland ein gutes Regelwerk mit einer entsprechenden Beratungs- und Begleitstruktur haben. Natürlich bleibt es ein formales Verfahren, in dem sehr viel nachzuweisen ist. Aber selbst für Personen, die die Unterlagen nicht mehr beschaffen können, wurde mit der Qualifikationsanalyse eine Lösung zur Anerkennung ihrer Qualifikationen entwickelt. Dazu gibt es einige interessante Projekte, unter anderem das Netzwerk Qualifikationsanalyse, das Kammern bei der Entwicklung von Analysen über Fachgespräche oder praktische Erprobungen unterstützt.
In den reglementierten Berufen ist die formale Anerkennung allerdings eine harte Voraussetzung: Um die geforderte Gleichwertigkeit des ausländischen Bildungsabschlusses mit dem deutschen zu erreichen, müssen die Antragstellerinnen und Antragsteller gegebenenfalls noch Qualifizierungen absolvieren. Als zweite Stufe im Berufszulassungsverfahren müssen sie zudem Sprachkenntnisse nachweisen.
Eine Errungenschaft der deutschen Anerkennungsgesetzgebung ist, dass die Berufserfahrung immer berücksichtigt wird, sofern Zugewanderte sie nachweisen können. In einer guten Beratungs- und Begleitstruktur, die die Anträge für das bestmögliche Ergebnis vorbereitet, spielt der detaillierte Nachweis von Berufserfahrung eine wichtige Rolle, gerade in den reglementierten Berufen. Es ist nicht immer einfach, die Erfahrungen einzuschätzen. Aber die zuständigen Stellen haben inzwischen viel Erfahrung aufgebaut.
Gibt es Unterschiede bei der Anerkennung der Qualifikationen Geflüchteter und anderer Migrantinnen und Migranten?
Willems: Generell ist bei Geflüchteten die Beschaffung der Unterlagen erschwert. Dafür gibt es dann das erwähnte Verfahren der Qualifikationsanalyse. Zugleich können die zuständigen Stellen auf einen Pool bereits bearbeiteter Anträge zurückgreifen. Und auch hier gibt es Unterstützung, etwa mit dem BQ-Portal für die Kammern. Die IHK Foreign Skills Approval (IHK FOSA) ist als zentrale Stelle für fast alle Industrie- und Handelskammern mit einem mehrsprachigen Team tätig. Mit diesem Netz aus Beratung, Begleitung und Unterstützung finden die Ratsuchenden Hilfe bei der Frage, wie die Nachweise aussehen sollen – jedenfalls sofern sie ihre ehemaligen Arbeitgeber noch kontaktieren können. Wenn wir allerdings über Geflüchtete sprechen, existieren das Krankenhaus oder andere frühere Arbeitgeber teilweise nicht mehr. Das ist eine Zielgruppe, die besondere Beratungskompetenzen braucht. Als Fachstelle im IQ-Förderprogramm haben wir Fortbildungen für Fachkräfte der IQ Anerkennungsberatung angeboten. Zum Beispiel dazu, wie man in den Beratungen mit Traumata der Geflüchteten umgeht und eine gute Weitervermittlung an spezialisierte Beratungsstellen gewährleistet. Für solche Fälle gibt es dann oft individuelle Lösungen.
Evelien Willems ist Projektkoordinatorin des f-bb am Standort Nürnberg. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören die Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen sowie die berufliche Integration von Zugewanderten. Zuvor hat sie in der Migrationsforschung, Integrationsarbeit und Koordination von Projekten zwischenstaatlicher Organisationen (IOM und UNO) gearbeitet.
In Deutschland suchen einige Branchen dringend Fachkräfte. Hat dieser Fachkräftebedarf Einfluss auf das Anerkennungsverfahren?
Willems: Für das Verfahren an sich macht die Nachfrage am Arbeitsmarkt keinen Unterschied. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurde allerdings die Möglichkeit eines beschleunigten Fachkräfteverfahrens eingeführt – übrigens unabhängig von Mangelberufen. Arbeitgeber können bei der Ausländerbehörde ein kostenpflichtiges Verfahren mit verkürzten Fristen starten, wenn sie eine solche Fachkraft gefunden haben. An der Auslastung der zuständigen Stellen lässt sich erkennen, wo ein Mangel herrscht: Im Gesundheitsbereich etwa gibt es ein stark erhöhtes Antragsaufkommen, auch bei den anerkennungsbezogenen Qualifizierungsangeboten besteht eine hohe Nachfrage. Gerade im Pflegebereich ist die Nachfrage hier aktuell höher als das Angebot.
Was passiert mit Menschen, deren Qualifikationen nicht anerkannt werden? Bleiben sie trotzdem im deutschen Arbeitsmarkt oder wandern sie ab?
Willems: Ablehnungen von Anträgen –also Anerkennungsverfahren, in denen gar keine Gemeinsamkeiten mit der Referenzqualifikation festgestellt werden – liegen glücklicherweise im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Natürlich kann es vorkommen, dass die Qualifikation zunächst als teilweise gleichwertig zu den in Deutschland erforderlichen Qualifikationen für die gewünschte Arbeit anerkannt wird. In solchen Fällen können Anpassungsqualifizierungen absolviert werden, um eine volle Gleichwertigkeit zu erlangen. Die IQ Qualifizierungsberatung hilft Ratsuchenden dabei, passende Maßnahmen oder alternative Möglichkeiten zu finden. Denn manchmal dauert zum Beispiel der Weg zu einer Anstellung in einer staatlichen Schule für die Antragstellerin oder den Antragsteller zu lang. Aber hier wird in den allermeisten Fällen eine qualifikationsnahe Beschäftigung gefunden, etwa im nicht-reglementierten Bereich wie der Erwachsenenbildung. Oft erhalten solche Personen gezielte Qualifizierungsangebote, die eine Brücke in den Arbeitsmarkt schlagen.