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Illustration Interview

Welche Chancen bietet kulturelle Vielfalt in der Arbeitswelt, und welche Herausforderungen bleiben?

Wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenarbeiten, kann das die Innovationsfähigkeit fördern. Ein Diversitätsforscher und ein Praktiker zu den Chancen und Bedingungen, unter denen interkulturelle Vielfalt  zum Gewinn wird.

Was heißt es für Unternehmen, wenn der Belegschaft Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Kultur angehören? Ein Doppelinterview über die Chancen und Herausforderungen beim Thema Diversität  . Bertolt Meyer ist Professor für Arbeitsorganisations- und Wirtschaftspsychologie und Diversitätsforscher an der TU Chemnitz, sein Gesprächspartner Fritz Audebert ist Vorstandsvorsitzender und Gründer der Passauer ICUnet Group, die ihre Kundinnen und Kunden beim Thema interkulturelle Zusammenarbeit berät.

Dr. Fritz Audebert

Herr Audebert, Herr Meyer, was heißt es für Unternehmen, wenn Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen zusammenarbeiten? Welche Effekte hat dies beispielsweise auf Produktivität und Innovationsfähigkeit? 

Bertolt Meyer: Diversität  ist Chance und Risiko zugleich. Die Chance liegt darin, dass ein heterogen zusammengesetztes Team tatsächlich aufgrund der vielen verschiedenen Perspektiven auf ein Problem und eines guten, kreativen Austauschs die Fähigkeiten im Unternehmen erhöht. Auf der anderen Seite haben wir eine eingebaute Präferenz für Ähnlichkeiten. Denn das zeigt uns, dass es okay ist, dass wir sind, wie wir sind, während Unähnlichkeit sich meist nicht so gut anfühlt. Und das ist die große Herausforderung bei Vielfalt am Arbeitsplatz. 

Dr. Fritz Audebert

Dr. Fritz Audebert

CEO der ICUnet Group

Dr. Fritz Audebert ist Vorstandsvorsitzender und Gründer der ICUnet Group, ein Unternehmen für interkulturelle Dienstleistungen mit Sitz in Passau. Seine Firma berät Unternehmen in der internationalen Zusammenarbeit und bei der Entwicklung interkultureller Teams.

Fritz Audebert: Aus meiner Sicht hängt die Frage nach der Produktivität von der Tätigkeit ab. Habe ich eher homogene Arbeiten, bei denen Vielfalt fast hinderlich ist? Wenn jeder die gleiche Arbeit unterschiedlich macht, bringt uns das nicht weiter. In dem Moment aber, wo ich eine Neuentwicklung habe und bewusst verschiedene Ideen einbringen möchte, ist ein diverses Team unendlich wertvoll und der Output deutlich größer. 

Welche weiteren Chancen können Unternehmen durch kulturelle Diversität erschließen? 

Meyer: Auch, wenn es stimmt, was Herr Audebert zu den Routinetätigkeiten sagt: Vielfalt als Ganzes kann für Unternehmen ein wirtschaftlicher Gewinn sein. Denn in Zeiten des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels ist sie auch ein Recruitment-Tool. Wenn Unternehmen beispielsweise zeigen können, dass Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen bei ihnen arbeiten, hilft Diversity   bei der Rekrutierung in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Darüber hinaus sind Unternehmen mit heterogenen Belegschaften resilienter. Das ist ähnlich wie bei Ökosystemen, die erst durch eine bunte Mischung widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse sind. Das Potenzial von Diversität  sehe ich also auf drei Ebenen: auf der Mikroebene der Teams, wenn es um die Zusammenarbeit für kreative Aufgaben geht, bei der Fachkräftesuche und schließlich für eine höhere Resilienz des Unternehmens als Ganzes. 

Audebert: Aus der Praxis kann ich bestätigen, dass das Thema Resilienz seit Corona eine Rolle spielt. Vorher ging es vor allem um die Themen Innovation, Produktivität und Agilität. Und Resilienz und Agilität passen in der Tat gut zusammen: Wer sich agil an Veränderungen anpasst, ist widerstandsfähiger. 

Unter welchen Bedingungen lassen sich die Chancen der Vielfalt nutzen?

Unter welchen Voraussetzungen gelingt es, die Chancen, die Sie beide genannt haben, mit kulturell gemischten Teams zu nutzen?  

Audebert: Ich finde, hier passt das Beispiel des Fußballs gut: Es funktioniert nicht mit lauter Einzelplayern. Das richtige Training ist entscheidend. Und es kommt auf die Auswahl an.

„Es ist nicht damit getan, einfach zehn Nationen zusammenzubringen.“

Neben dem Trainer spielt also der Scout eine große Rolle, denn es ist nicht damit getan, einfach zehn Nationen zusammenzubringen. Die Typen müssen auch zueinander passen. Dann können die heterogenen Teams ihre Potenziale entfalten. 

Meyer: Die Herausforderung im Umgang mit Vielfalt ist, dass sie nicht zu Konflikten führen darf. Ich brauche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die darin kompetent sind, mit Andersartigkeit umzugehen. Das hat auch viel mit Führung und dem Klima der Organisation zu tun. Vielfalt wird in dem Moment problematisch, wenn Menschen, die eigentlich produktiv zusammenarbeiten sollen, sich gegenseitig als „Wir“ und „Die Anderen“ wahrnehmen. Letztere werden bei so einer Sicht immer abgewertet. Dann gibt es kein Vertrauen, keinen Informationsaustausch und damit auch keine gute kreative Zusammenarbeit. Es gibt keine Patentrezepte, die solche Konflikte verhindern. Die Lösung hängt stark vom Kontext ab: von der Branche, der Aufgabe, was hat das Unternehmen für eine Tradition, wie ist die Kultur.  

Prof. Dr. Bertolt Meyer
Prof. Dr. Bertolt Meyer

Prof. Dr. Bertolt Meyer

Diversitätsforscher an der TU Chemnitz

Prof. Dr. Bertolt Meyer ist Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der TU Chemnitz. Er forscht unter anderem zu Stereotypen beim Umgang mit Menschen, die die Mehrheit als „anders“ empfindet, zu den Auswirkungen von Diversität  und zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz.

Wie kann ein Beispiel für so eine Lösung aussehen? 

Meyer: Eine kann sein, bei der Zusammenstellung von Teams homogene Subgruppen zu vermeiden, die etwa entstehen, wenn Sie zwei junge deutsche Frauen mit Psychologiestudium und zwei ältere, amerikanische Ingenieure zusammenbringen. Da überlagern sich gleich drei Dimensionen, die wie soziale Sollbruchstellen wirken: Herkunft, Geschlecht und Bildungsweg. Und was unsere Forschungsergebnisse auch zeigen: Wenn ich der Belegschaft, die schon da ist, vermitteln kann, dass es für ihren Arbeitgeber und damit auch für ihren Job wichtig ist, dass sie auch mit Kolleginnen und Kollegen gut zusammenarbeiten, die sich stark von ihnen unterscheiden, wird Vielfalt zum Gewinn. Ich muss also den Glauben an den Nutzen von Vielfalt fördern. 

Ich frage mich aber auch, ob Vielfalt nicht auch ein Wert an sich ist, den ich nicht noch ökonomisch legitimieren muss. Unsere Gesellschaft ist sehr heterogen. Da hat es auch viel mit Teilhabe zu tun, wenn ich diese Vielfalt in allen gesellschaftlichen Subsystemen abbilde. Und dazu gehört auch der Arbeitsmarkt und damit das Einzelunternehmen.  

Wie passt Vielfalt als Ziel sozialer Gerechtigkeit zu ökonomischen Zielen?

Können Sie dem zustimmen, Herr Audebert: Vielfalt als Wert an sich und logische Konsequenz gesellschaftlicher Teilhabe? 

Audebert: Aus wissenschaftlicher Sicht ist das sicher richtig. Als Unternehmer aber werden wir vom Kunden danach bewertet, ob wir Nutzen stiften. Es geht am Ende um Gewinnerzielung. Und das bedeutet, immer danach zu schauen, welche Faktoren ich einsetzen kann, damit ich Gewinne erziele. Ganz wichtig ist es dabei, zu klären, aus welcher Situation welche Detailziele erreicht werden sollen: Geht es darum, die Fluktuation zu verringern oder innovativer zu werden? Dann kann ein kulturell vielfältiges Team Innovationstreiber sein und man muss überlegen, welches Umfeld es braucht und wer das Team steuert. Sich dieses Zielbild klarzumachen, scheint mir entscheidend. Denn sonst sind wir in einer Multikulti-Diskussion, in der die einen keine Veränderung haben wollen und die anderen sagen, die Veränderung ist mit der Zuwanderung und unseren Rekrutierungsproblemen per se da. Dann beschreibe ich zwar die aktuellen Probleme, aber keine Vision, wie es besser geht. Und ich glaube, beides muss unbedingt zusammenkommen.  

Heißt das, dass Wissenschaft und Praxis das Thema Diversität unterschiedlich beurteilen: aus dem Blickwinkel sozialer Gerechtigkeit und aus der Perspektive ökonomischer Ziele?  

Meyer: Ich denke, dass Vielfalt als Wert an sich gar nicht in Opposition zu den Zielen eines Unternehmens stehen muss.

„Vielfalt kann zum nachhaltigen Umgang mit Personal als Ressource beitragen.“

Und ich stimme Herrn Audebert zu: Am Ende geht es immer um Wirtschaftlichkeit. Vor allem bei großen Unternehmen sehe ich aber, dass Vielfalt zu vielen Zielen eines Unternehmens beitragen kann. Beispielsweise auch zur Corporate Social Responsibility (CSR), nach der Unternehmen sich selbst verpflichten, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Und wenn wir über nachhaltigen Umgang mit Ressourcen sprechen, setzt sich in den Unternehmen immer mehr die Überzeugung durch, dass wir auch mit dem Humankapital sorgsam umgehen müssen. Aus dieser Sicht können CSR-Ziele auch mit Profitabilitätszielen einhergehen, wenn ich wieder zum Thema Fachkräftesuche komme. Und hier hat Vielfalt einen zentralen Stellenwert. 

Herr Audebert, sind diese Chancen der Vielfalt denn in allen Unternehmen angekommen? 

Audebert: Wir müssen in den deutschen Unternehmen viel mehr wagen, damit Vielfalt zum Erfolg wird. Das haben wir jetzt in der Pandemie gesehen, als wir Mitarbeiter aus China, aus Indien zugeschaltet haben, um zu sehen, wie sie die Problematiken durch Corona lösen. Im Ergebnis sind wir beispielsweise in der Digitalisierung durch diese neuen Ideen um drei Jahre schneller vorangekommen als wir ursprünglich geschätzt hatten. Und das ist Wagen: Ein Unternehmer muss etwas unternehmen und darf es nicht unterlassen.