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Illustration Interview

„Wir ziehen viel Produktivität daraus, dass Jüngere von Älteren lernen“

In der Agentur „Des Wahnsinns fette Beute“ machen sich altersgemischte Teams über Lerneffekte und mehr Produktivität bezahlt. Ein Interview mit Geschäftsführerin und Mitarbeiterin.

Maria Sybilla Kalverkämper, Geschäftsführerin der Beratungs-Agentur „Des Wahnsinns fette Beute“ in Attendorn, ist überzeugt, dass Vielfalt  und Offenheit in der Belegschaft Unternehmen voranbringen. Ihre Mitarbeiterin Ruth Schulz-Wiemann, mit 62 Jahren die Älteste in der Agentur, bringt Wissen und Erfahrung ins Unternehmen ein, von dem jüngere Teammitglieder lernen – und umgekehrt. Davon und wie schwierig es ist, Hemmschwellen in den Unternehmen abzubauen, berichten die beiden im Interview. 

Maria Sybilla Kalverkämper

Maria Sybilla Kalverkämper

Geschäftsführerin der Agentur „Des Wahnsinns fette Beute“

Maria Sybilla Kalverkämper ist seit 2005 Geschäftsführerin der auf Markenführung und Arbeitgeberattraktivität spezialisierten Kommunikationsagentur aus Attendorn. Sie berät mittelständische Unternehmen auch zu Fragen der Unternehmenskultur und Integration von Diversität  im Team.

Unsere Gesellschaft wird immer älter und damit auch die Beschäftigten. Welche Chancen und vielleicht auch Herausforderungen entstehen dadurch in den Unternehmen?

Ruth Schulz-Wiemann: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Arbeitgeber Vorbehalte haben, Ältere einzustellen. Sie stellen sich Fragen wie ,Was schaffen die noch?‘, ,Können die in Zeiten zunehmender Digitalisierung mithalten, oder versperren sie sogar Jüngeren die Karriere, indem sie lange im Betrieb bleiben?‘ Wenn man sie nur ließe, bringen Ältere aber eine Menge Chancen, beispielsweise durch ihre Berufserfahrung oder diplomatischeres, oft auch überlegteres Handeln und größeres Pflichtbewusstsein. Von all dem können Jüngere lernen und Arbeitgeber profitieren. Natürlich ist es dann auch wichtig, die Arbeitsbedingungen altersgerecht anzupassen, beispielsweise mit anderen Zeitmodellen wie Vertrauensarbeit, Teilzeit  , familienfreundlichen Arbeitszeiten. Und auch bei Themen wie der Digitalisierung könnten Arbeitgeber diese Arbeitnehmergruppe gezielt unterstützen.

Frau Kalverkämper, welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um beispielsweise Frau Schulz-Wiemann ins Team zu integrieren?

Maria Sybilla Kalverkämper: Ich glaube, dass es gar nicht so sehr eine Frage der Integration ist. Wir als Agentur haben sowieso eine sehr offene Kultur. Die Hemmschwelle, überhaupt jemanden über 60 Jahre zum Vorstellungsgespräch einzuladen, ist viel schwieriger abzubauen als so jemanden erfolgreich ins Team einzugliedern. Es gibt bei Älteren bestimmte Herausforderungen, ja. Aber wenn sie erstmal im Unternehmen sind, sind sie wie jeder andere auch: Jeder hat ja seine besonderen Züge. Wir haben zum Beispiel junge Mitarbeiter, die auch sehr individuelle Arbeitszeiten haben. Deshalb sind wir es gewohnt, sehr individuell zu fördern. Wenn es aber in Unternehmen Standards gibt nach dem Motto „So machen wir das immer und für alle“, ist es für die HR-Abteilung eine große Aufgabe, die persönliche Entwicklung und die Zielsetzungen so zu erarbeiten, dass sie passen.

„Wir haben in der Praxis erlebt, dass ein komplett junges Team nicht funktioniert.“

Wir ziehen viel Produktivität daraus, dass junge Menschen durch Ältere an einer Art Role Model lernen, wie man sich strukturiert, wie man Ziele erreicht, was Disziplin ist. Diese persönlich-individuelle Entwicklung sehe ich als größte Chance fürs Unternehmen. Denn wir haben das in der Praxis erlebt: Ein komplett junges Team funktioniert nicht.

Es gibt Studien mit der Aussage, dass Ältere weniger an Weiterbildungen teilnehmen als Jüngere. Sind Ältere weniger lernbereit? 

Kalverkämper: Natürlich können Ältere sich in neue Themen einarbeiten. Ruth zum Beispiel, mit 62 Jahren die Älteste im Unternehmen, bedient sehr erfolgreich drei verschiedene Softwareprogramme, dazu eine Marketingautomationssoftware, für die sie kaum freilaufende Fachkräfte finden. Genauso gibt es aber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei einzelnen Theman an die Hand genommen werden müssen. Man muss jeden abholen, auch die Jüngeren. Denn es ist ein Irrglaube, dass Mitarbeiter gut mit Technik umgehen können, nur weil sie jung sind.

Ruth Schulz-Wiemann

Ruth Schulz-Wiemann

Assistentin der Geschäftsführung

Ruth Schulz-Wiemann hat vor ihrer Management-Assistenz bei „Des Wahnsinns fette Beute“ u. a. als Referentin für Organisationsentwicklung, Public Relations und als Fremdsprachenkorrespondentin gearbeitet. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass ältere Bewerberinnen und Bewerber am Arbeitsmarkt immer noch vielen Vorbehalten begegnen.

Welche Führung braucht es, damit altersgemischte Teams funktionieren?

Wie müssen Führungskräfte arbeiten, damit altersgemischte Teams funktionieren?

Kalverkämper: Wenn unter 30-Jährige Ältere führen, sind die anfangs nicht begeistert. Das ist einfach so. Hier gelten aber genau dieselben Anforderungen wie an eine agile, ausdifferenzierte HR-Abteilung: Die Führungskraft muss genauso wach mit dem Gegenüber agieren, dann lösen sich Vorbehalte schnell auf. Dann gibt in manchen Unternehmen vielleicht den Typ älterer Mitarbeiter, der sich über Jahrzehnte seine Komfortzone eingerichtet hat, an der bitte nicht gewackelt werden soll. Aber den gibt es nur dort, wo auch in der HR-Strategie 30 Jahre Stillstand herrschte. Wenn ich diesen Leuten jetzt auf einmal mit Agilität komme, ist das Alter ausnahmsweise mal ein Faktor, der erschwerend dazu kommt.

Schulz-Wiemann: Ich denke, in den Führungsetagen hat sich heute schon viel getan im Umgang zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. „Du bist erstmal nichts, und wenn Du was werden willst, mach, was Dir gesagt wird“: Mit solch einer „Command-and-Control“-Kultur bin ich noch aufgewachsen. Das ist zum Glück immer mehr Vergangenheit. Ich denke, Begeisterung und Loyalität zum Unternehmen können Chefs heute gerade dadurch erreichen, dass sie aus der Vielfalt schöpfen und den Einzelnen nach seinen Talenten fördern. Und das haben viele inzwischen erkannt: Dass Diversität  heißt, jede Menge Potenziale zu nutzen.

Viele Jüngere haben hohe Ansprüche an ihren Arbeitgeber, Ältere wundern sich da manchmal. Können da auch Gerechtigkeitsfragen zur Herausforderung werden?

Kalverkämper: Wir sehen bei unseren Kunden, dass Unternehmen mit solchen Gerechtigkeitsproblemen immer auch eine Reihe anderer Probleme haben, die die HR-Strategie insgesamt betreffen. Solche Kulturen im Umgang mit den Mitarbeitern zu verändern, ist ein ganz langer Prozess. Dazu müssen die Unternehmen erst einmal definieren, welche Mischung an Menschentypen für welche Aufgabe man braucht und das auch kommunizieren. Kein Menschentyp ist besser oder schlechter als andere. Das sind die Grundlagen, damit sich eine Unternehmenskultur mit einer guten Fehlerkultur, Kommunikation auf Augenhöhe und vielem mehr langfristig ändern kann. Dann fallen auch Themen wie Diversität  und Digitalisierung auf einmal ganz leicht. Es muss im Unternehmen letztlich klar werden: Der Faktor Mensch ist immer die Lösung.