Gerade kommen viele Krisen zusammen – explodierende Energiekosten, gestörte Lieferketten und der nächste Pandemie-Winter steht auch vor der Tür. Was bedeutet die aktuelle Krisensituation für kurz- und langfristige Strategien zur betrieblichen Personalgestaltung?
Franz Donner: Aktuell geht es darum, durch die Krisen zu kommen. Da ist pragmatisches Unterhaken gefragt, oft auch eher kreatives und kurzfristiges Improvisieren. Aber so etwas durchzustehen, schweißt zusammen. Langfristig müssen wir uns auf einen nochmals beschleunigten Strukturwandel einstellen. Diese Veränderungen sind mit großen Unsicherheiten über die Zukunft verbunden. Unsicherheit wird umso eher als Chance wahrgenommen, je mehr sich die Betroffenen in der Lage sehen, die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Hierfür ist wiederum Flexibilität sowie Lern- und Anpassungsfähigkeit entscheidend. Neben betrieblichen Maßnahmen kommt es auch auf die Politik an, die notwendigen Rahmenbedingungen mutig und zügig gerade bei der Arbeitszeit und Weiterbildung zu schaffen, damit bedarfsgerechte Lösungen und innovative Konzepte in den Betrieben möglich sind.
Wo sollen Betriebe jetzt ansetzen, um erfolgreich durch die aktuellen Krisen zu kommen und gleichzeitig für die Fachkräftesicherung in Zukunft vorzusorgen?
Donner: Die Fachkräftesicherung wird in der Tat das herausragende Thema für Deutschland, damit wir eine führende Rolle als Wirtschaftsnation und den damit verbundenen Wohlstand halten können. Der größte Hebel zur Behebung der sich verstärkenden Mangelsituation liegt in der Aus- und Weiterbildung, zielgerichtet auf die in Zukunft benötigten Kompetenzen. Daneben gibt es einen bunten Strauß von Themen, wie unsere Spitzenforschung in erfolgreiche industrielle Anwendungen zu bringen, das Erfolgsmodell der dualen Ausbildung über die Hürden der Pandemie zu führen und die Kompetenzen der älteren Menschen smart und aus ihrem Antrieb heraus zu nutzen, um nur einige zu nennen.
Franz Donner ist seit Juli 2022 Mitglied im Rat der Arbeitswelt und war langjähriger Konzernpersonalleiter eines deutschen Hightech-Unternehmens. Aktuell ist Franz Donner in einer der führenden Arbeitsrechtskanzleien als Of Counsel tätig.
Sie haben über mehrere Jahrzehnte erfolgreich die Personalarbeit eines globalen Technologieführers mit Sitz in Deutschland gestaltet, auch über schwierige Zeiten hinweg. Gibt es ein Erfolgsrezept?
Donner: Der Erfolg wurde durch eine klare Strategie des Konzerns und der einzelnen Geschäfte mit hoher Innovationskraft in allen Bereichen erreicht. Der Personalbereich hat sich demzufolge nicht auf die administrativen Aufgaben beschränkt, war vielmehr Mitgestalter in der Strategie, die durch Menschen mit den richtigen Kompetenzen umgesetzt wird, und in der Entwicklung der Organisation und Unternehmenskultur. Letztere im Einklang mit der Strategie und zur Absicherung des Geschäftserfolgs. Krisenzeiten boten dabei immer Chancen für eine beschleunigte Entwicklung im globalen Wettbewerb. Hier sehe ich eine Parallele zur aktuell immer noch wichtigen Transformation mit dem digitalen und ökologischen Wandel.
Eine starke Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften und betrieblichen Interessenvertretungen ist mir wichtig, so dass ein klarer ordnungspolitischer Rahmen mit Schutz und Teilhabe einerseits, und Flexibilität sowie Spielräume für individuelle Gestaltungen andererseits gegeben sind. Gesetze müssen diese Ausgestaltungsspielräume zulassen.
Der Sozialpartner-Dialog zwischen den verschiedenen Interessenvertreterinnen und -vertretern ist unerlässlich und ein Erfolgsmodell in Deutschland. Diesen schätze ich auch im Rat der Arbeitswelt in besonderer Weise. Hier können Impulse entstehen, die auf wissenschaftlicher Basis diskutiert und erarbeitet werden. Die vom Rat begonnene Diskussion zum Thema des „Betriebes als sozialer Ort“ ist so ein Brennpunktthema zwischen den Erfordernissen der Präsenz im Betrieb, zum Beispiel für Innovationen, und der Idee des Rechts auf Homeoffice. Hiermit werden wir uns im Rat weiter beschäftigen und Impulse setzen.
Welche politischen Weichenstellungen braucht es jetzt aus Ihrer Sicht?
Donner: Wir brauchen drei grundlegende Schwerpunkte: Erstens verbesserte Anreize im Steuer- und Transfersystem mit mehr Netto vom Brutto, zweitens ein leistungsfreundliches und faires Bildungssystem und drittens eine arbeitsmarkorientierte Zuwanderung.
Unserer Gesellschaft muss deutlich werden: Einen funktionsfähigen Sozialstaat und ein funktionsfähiges Gesundheitswesen sowie Infrastruktur von Kultur bis zur Busverbindung werden wir nicht durch weniger Anstrengung als bisher aufrechterhalten können. Wenn hier niemand mehr ist, der die anfallende Arbeit erledigen kann oder will, wird sie eben woanders auf der Welt erledigt. Daher muss die Politik klar dafür sorgen, dass sich Leistung und die „extra Meile“ lohnt. Insbesondere indem die Kalte Progression automatisch ausgeglichen wird.
Zudem müssen die Ergebnisse unseres Bildungssystems dringend verbessert werden. Das fängt in der Schule an. Wir brauchen Standards, was Schülerinnen und Schüler in den einzelnen Klassenstufen können und wissen müssen. Diese Standards müssen wir über Tests bundesweit vergleichbar abprüfen können.
In den Übergängen zur Ausbildung, zum Studium und ins Berufsleben sollte es uns als einer der führenden Industrienation gelingen, die Begeisterung für MINT zu fördern. Schließlich sollten sowohl Beschäftigte als auch Unternehmen ihr Weiterbildungsengagement steuerlich besser geltend machen können. Das erleichtert auch die notwendige Integration von Zuwanderung in den Arbeitsmarkt.
Teure Förderinstrumente wie ein Qualifizierungsgeld oder die Einführung einer Bildungs(teil)zeit sehe ich aktuell noch kritisch. Beim Qualifizierungsgeld sehe ich die Gefahr, dass betrieblich notwendige Strukturanpassungsmaßnahmen verhindert werden und eine Arbeitsplatzqualifizierung „ins Blaue hinein“ erfolgt. Berufliche Qualifizierung muss sich an den konkreten Bedarfen der Betriebe orientieren. Wir benötigen dazu eine Optimierung der bestehenden Förderinstrumente zur Weiterbildung, insbesondere eine Flexibilisierung und Vereinfachung. Eine deutliche Verbesserung wäre zum Beispiel die Herabsetzung der unpraktikablen Mindestmaßnahmendauer von aktuell mehr als 120 Stunden auf nur noch mehr als 80 Stunden.
Sie scheinen als Anwalt der Unternehmerinteressen und der Arbeitgeberseite nicht mit allen Gesetzen der letzten Jahre glücklich zu sein. Können Sie dies näher erläutern.
Donner: Genau, mir erscheint es an einigen Stellen aus einer deutschen Genauigkeit bei gesetzlichen Regelungen und deren Umsetzung zu einer Überregulierung und zu einem Bürokratismus zu kommen, mit dem Unternehmen unnötig belastet werden – und auch aus dem Schutz des Einzelnen ist dies nicht geboten. Hier einige Beispiele:
Mit dem Nachweisgesetz hat der Gesetzgeber aus meiner Sicht gezeigt, wie es nicht geht. Über viele Inhalte lässt sich sicher streiten – nicht verständlich ist indes das Schriftformerfordernis. In einer zunehmend digitaler werdenden Arbeitswelt müssen nun die sogenannten Nachweise über die wesentlichen Arbeitsbedingungen weiterhin zwingend „mit Tinte“ unterschrieben werden. Viele Unternehmen hatten bereits auf digitale Signaturen umgestellt, was auch die neu aufgelegte europäische Richtlinie ausdrücklich ermöglicht hätte. Hier geht Deutschland – wie so oft – einen Sonderweg und hält an alten Zöpfen fest. Das hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitsverträge, da nur ein schriftlicher Arbeitsvertrag den bürokratischen Nachweis ersetzen kann. Der Digitalisierung von Arbeitsverträgen und allgemein im Arbeitsrecht wird damit ein Bärendienst erwiesen.
Den Unternehmen wurde ein unnötiger Aufwand und Zeitdruck aufgebürdet, weil zwischen Verkündung im Gesetzblatt und Inkrafttreten nur ein Monat lag und während der Sommerferien alles umgestellt werden, Vertragsvorlagen angepasst und Kapazitäten freigeschaufelt werden mussten. In großen Konzernen ist die Vertragssachbearbeitung ein Massegeschäft, es geht nicht nur um eine Unterschrift, sondern täglich um sehr viele.
Hier scheint es der Politik an Verständnis zu fehlen, welche Auswirkungen ein vermeintlich gut gemeintes Gesetz wirklich verursacht. Hat man sich beispielsweise Gedanken dazu gemacht, wer die Nachweise und auch die Arbeitsverträge im Original unterschreibt, wenn die meisten Beschäftigten mobil Arbeiten? Ich wage auch zu bezweifeln, ob mit dem Gesetz die gewünschten Folgen erreicht werden. Oder ob nicht zahlreiche redliche Unternehmen für einige schwarze Schafe mit unnötigem Aufwand büßen.
Man hätte dem Schutz Einzelner, zum Beispiel Fertigungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern ohne digitalen Zugang, auch anders Rechnung tragen können. Zum Beispiel mit einem Wahlrecht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwischen digital oder Papierform, oder einer Beweislastumkehr, so dass der Arbeitgeber den Zugang digital oder analog sicherstellen muss. Dann wären die Betroffenen geschützt, auch ohne ein Papiermonster für alle Beschäftigten zu kreieren. Oder zumindest einer Beschränkung der starren Vorgaben auf Branchen des sogenannten Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes.
Auch wenn sich die meisten Unternehmen mittlerweile zwangsweise mit der Situation arrangiert haben, besteht diesbezüglich dringender Nachbesserungsbedarf.
Ich plädiere dafür, dass wir es bei der Erneuerung und Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes richtig machen und nicht wie beim Nachweisgesetz hopplahopp an der Realität und gleichermaßen an den Interessen von Beschäftigen und Unternehmen vorbei.
Spätestens seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Jahr 2019 warten wir auf eine Neuauflage des Arbeitszeitgesetzes. Passiert ist seither – nichts. Dem Gesetzgeber kam nun das Bundesarbeitsgericht zuvor und eine vielzitierte Pressemitteilung wird als Ende der Vertrauensarbeitszeit gedeutet. Das muss nicht sein. Was wir wirklich brauchen, ist Sicherheit für mehr Arbeitszeitflexibilität. Die zugrunde liegende EU-Richtlinie lässt eine Wochenarbeitszeit zu. Das gilt auch für eine flexible Handhabung von Ruhezeiten. Beides in Kombination wäre ein Schritt in Richtung Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und eine Antwort auf die Frage, ob das kurze Beantworten von E-Mails am Abend die Ruhezeit neu auslöst.
Auch die Frage, ob, wie viel und unter welchen Voraussetzungen an Wochenenden gearbeitet werden darf, gehört neu auf den Tisch. Wir müssen Arbeit am Wirtschaftsstandort Deutschland halten. Wenn es aber so gut wie nicht möglich ist, teuerste Maschinen auch am Sonntag laufen zu lassen, weil die Erlaubnistatbestände für Sonntagsarbeit so eingeschränkt sind, gefährden wir das. Gerade in diesen wirtschaftlich und geopolitisch unsicheren Zeiten.
Die dialogorientierte Mitbestimmung war mir seit jeher ein Anliegen. Gleichzeitig habe ich über die Jahre mitverfolgen können, dass wir eine zunehmende Reglementierung erlebt haben.
Negativbeispiel in unserer immer digitaler werdenden (Arbeits-)Welt ist die Mitbestimmung bei IT-Systemen. Da es schon ausreicht, dass die Software theoretisch die Möglichkeit zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle gibt, kann ein Unternehmen mittlerweile nicht mehr autonom entscheiden. Bei allem Verständnis, dass die Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt, muss man doch anerkennen, dass wir heute in einer Welt leben, in der Technik, Software und Apps eine ganz andere Rolle spielen als noch vor einigen Jahren. Hier braucht es mehr Flexibilität auf Arbeitgeberseite. Oder – und das ist nicht selbstverständlich – ein konstruktives, zukunftsgewandtes Miteinander mit den Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern.
Insgesamt bin ich der Meinung, dass unser Betriebsverfassungsrecht reformiert werden sollte. Streitthema in vielen Betrieben ist immer wieder die richtige Vergütung von Betriebsratsmitgliedern. Betriebsratsarbeit ist wichtig, insbesondere für freigestellte Betriebsratsmitglieder ein Fulltime-Job und mit viel Verantwortung verbunden. Und manchmal sind Betriebsratsvorsitzende wirklich nicht zu beneiden, wenn sie bei schwierigen Themen ihr Gremium mit vielen unterschiedlichen Einzelmeinungen unter einen Hut bringen und einer Lösung zuführen müssen. Nach aktueller Rechtslage haben Unternehmen kaum Möglichkeiten ein solches Engagement angemessen zu honorieren. Mir geht es nicht darum, dass ein Unternehmen sich wohl gesonnene Arbeitnehmervertretungen erkaufen oder wie das Topmanagement bezahlen können soll. Das wäre der Sache nicht zuträglich. Gleichzeitig muss es aber eine für beide Seiten rechtssichere Möglichkeit geben, die angemessene Vergütung von Betriebsratsmitgliedern zu regeln. Fertigkeiten wie beispielsweise Streitschlichtung, Führungsqualitäten oder wirtschaftliches Verständnis sind allzu oft mit der Arbeit im Betriebsrat verbunden und entwickeln eine Person fachlich und persönlich weiter. Das muss sich irgendwie im Gehalt abbilden lassen.
Wenn ich in die Zukunft schaue, sehe ich weitere dunkle Wolken. Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder der EU-Taxonomie werden den Unternehmen weitreichende globale Governance-Aufgaben auferlegt. Die bürokratische Belastung darf nicht dazu führen, dass die Herausforderungen wie Fachkräftemangel und Demografie, Gleichberechtigung und Diversität , eine sich wandelnde Arbeitswelt und damit neue Herausforderungen für Führung und Mitarbeiterbindung in den Hintergrund rücken.