57.000 Stellen in der Pflege konnten 2021 nicht besetzt werden. In keinem anderen Beruf in Deutschland fehlten so viele Fachkräfte wie in der Alten- und Krankenpflege. Das zeigt eine Studie des KOFA. Der Mangel dürfte in unserer alternden Gesellschaft weiter steigen. Wie wir am besten darauf reagieren, verdeutlicht der Arbeitswelt-Bericht in seinen Handlungsempfehlungen.
„Nicht jeder kann pflegen!“ – Darauf legen die Pflegefachpersonen Petra Giannis (59) und Moritz Köbke (23) wert. Im Doppelporträt schildern sie, wie sich ihr Beruf in der Krankenpflege unter dem Einfluss medizintechnischer Möglichkeiten, neuer Ausbildungswege, zunehmender Dokumentationsaufgaben und den Herausforderungen der Corona-Pandemie verändert.
Arbeitsalltag & Wandel
Mit 15 Jahren habe ich mein erstes Pflegepraktikum im Krankenhaus gemacht. Seitdem hat sich viel verändert. Damals war ein Ultraschall noch ein „Schneegestöber“, die medizinischen und technischen Möglichkeiten haben sich sehr verändert. Patienten sind heute viel kürzer im Krankenhaus: In den 1990er Jahren blieben sie durchschnittlich 13 Tage, heute sind es sieben. In dieser kurzen Zeit gibt es immer mehr Untersuchungen. Wir dokumentieren heute jede pflegerische Tätigkeit. Das kostet Zeit. Aber auch menschenwürdige Pflege benötigt Zeit. Die Möglichkeit, fachlich gute Versorgung zu leisten und Ressourcen für Gespräche mit Klientinnen und Klienten und Zugehörigen zu haben, sollte selbstverständlich sein. Die Pandemie war da sehr belastend. Nie haben so viele den Beruf verlassen.
Kompetenzen
Viele denken: „Jeder kann pflegen.“ Dabei ist professionelle Pflege hochkomplex. Wenn ich bei der Körperpflege helfe, laufen viele Prozesse gleichzeitig, und ich bringe mein ganzes Expertenwissen ein. Ich prüfe die Hautbeschaffenheit und ziehe daraus medizinische Rückschlüsse. Ich versorge Wunden. Ich ermuntere zu Atemübungen, um Lungenentzündungen vorzubeugen. Ich führe bewusst ein Gespräch und wirke so auf die psychosoziale Verfassung. Pflegefachpersonen haben zurecht in den letzten Jahrzehnten Selbstbewusstsein gewonnen. Wir verbringen oft viel mehr Zeit mit den Patientinnen und Patienten als etwa Ärztinnen und Ärzte.
Zukunft
Pflege ist ein toller Beruf. Trotzdem mache ich mir Sorgen um die Zukunft. In Deutschland versorgen wir im Krankenhaus in der Regel zehn Patientinnen und Patienten gleichzeitig. In Norwegen kümmert sich eine Pflegefachperson um fünf. Die Folgen sind Überlastung, aber auch mangelhafte Versorgung. Unsere Arbeit muss angemessen bezahlt werden. Nicht umsonst engagiere ich mich seit 30 Jahren im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe.
Arbeitsalltag & Wandel
Gerade in der Intensivpflege verändert sich die Situation an einem Arbeitstag rasant: In einem Moment ist noch alles entspannt, im nächsten Moment ist auf der ganzen Station „Action“ angesagt. Das ist anspruchsvoll, und das mag ich. Als Pflegefachperson überwache ich die Vitalfunktionen der Patientinnen und Patienten, ich bin für die Körperpflege zuständig, aber auch für die Pflegeplanung und die Beratung. Ganz wichtig sind auch die psychosoziale Betreuung und die Angehörigenarbeit. Zurzeit führen wir bei uns auf der Station zudem eine „digitale Patientenkurve“ ein, die alle Vitalparameter, Medikamente und pflegerischen Maßnahmen digital erfasst.
Kompetenzen
Eine der wichtigsten Kompetenzen ist Empathie. Gerade ältere Patientinnen und Patienten sagen oft: „Es ist alles in Ordnung.“ Wenn ich spüre, dass das nicht der Fall ist, muss ich angemessen reagieren können. Darüber hinaus sollte man Interesse an Anatomie und Medizin mitbringen. Immer wichtiger ist auch technisches Verständnis. Auf einer herzchirurgischen Intensivstation werden andere medizintechnische Geräte eingesetzt als auf einer Normalstation, in die eine Einweisung erfolgt. Und natürlich entwickelt sich die Medizintechnik immer weiter. Da braucht es Neugierde und lebenslanges Lernen.
Zukunft
Die Pflegeausbildung in Deutschland muss international vergleichbar werden. Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen Pflege kein Studium ist, sondern eine dreijährige Berufsausbildung. Diese Möglichkeit sollte erhalten bleiben, nicht jede Pflegefachperson braucht Abitur. Gleichzeitig sollte Pflege auch studiert werden können. Die Absolventinnen und Absolventen könnten dann auch Aufgaben übernehmen, die bislang Ärztinnen und Ärzten vorbehalten sind, etwa die Verordnung bestimmter Therapien oder Rehamaßnahmen. Ich denke, das würde den Beruf attraktiver und zukunftsfähiger machen.
Pflege ist ein Heilberuf mit gesetzlich geregelten Kompetenzen. Am Ende einer dreijährigen – seit 2020 generalisierten – Ausbildung steht das Examen zur Pflegefachperson, die Qualifikation kann aber auch dual oder in einem Bachelorstudiengang erworben werden. Anschließend gibt es vielfältige Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie pflegewissenschaftliche Masterstudiengänge. Pflegefachpersonen sind im Krankenhaus, in der ambulanten sowie der stationären Langzeitpflege, aber auch in der Pflegeberatung, Forschung, Lehre oder Schulgesundheitspflege tätig. Sie betreuen, beraten und pflegen pflegebedürftige Menschen jeden Alters, vom Säugling bis zum hochaltrigen Menschen. In einem multiprofessionellen Team sind sie häufig das Bindeglied zwischen Patienten/-innen oder Bewohner/-innen, Ärzten/Ärztinnen und Therapeuten/-innen. Weitere Informationen