Formen und Verbreitung digitaler Technologien in der Pflege
Der Pflege-Roboter kommt zwar noch nicht, doch viele andere digitale Technologien haben in der Pflege bereits Einzug gehalten.
Wenn von der Digitalisierung der Pflege die Rede ist, denken viele Menschen zuerst an Pflegeroboter, die die Arbeit von Pflegekräften ersetzen sich weitgehend autonom um Patientinnen und Patienten kümmern und sie medizinisch-pflegerisch betreuen. Die Realität ist von dieser Vorstellung allerdings weit entfernt. Zum einen sind Roboter, die einen Großteil der Arbeit von Pflegenden übernehmen, technisch in absehbarer Zeit nicht realisierbar. Zum anderen stellt sich aber auch die Frage, ob es ethisch überhaupt vertretbar und gewünscht ist, die Versorgung und das Wohlergehen von Pflegebedürftigen in die Hände von Robotern zu geben (Deutscher Ethikrat 2020).
Unabhängig von der Debatte über Pflegeroboter gibt es allerdings schon heute eine Vielzahl digitaler Technologien, die in Krankenhäusern, stationären Altenpflegeeinrichtungen und im Bereich der ambulanten Versorgung zum Einsatz kommen. Sie unterstützen Einrichtungen und Pflegekräfte in verschiedenen Teilbereichen ihrer Arbeit und können Pflegebedürftige und ihre Angehörigen entlasten.
Verschiedene Anwendungsfelder digitaler Technologien
Ein wesentliches Anwendungsfeld sind die Bereiche Management, Verwaltung und Qualifikation. Hier werden zum Beispiel elektronische Dienstpläne oder digitale Arbeitszeiterfassungssysteme genutzt, um Planungs- und Verwaltungsaufgaben zu erleichtern. Ambulante Pflegedienste setzen zudem oftmals auf vernetzte Tourenplaner-Software, die zu einer verbesserten Koordination von Beschäftigten und Pflegebedürftigen führen kann. Im Feld der Qualifikation kommen vermehrt digitale Lern- und Tutorensysteme sowie vereinzelt bereits Augmented-Reality-Brillen bei der Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften zum Einsatz.
Vorteile / Chancen
Digitale Systeme helfen bei der Standardisierung von Informationen und Daten und vereinfachen administrative Arbeit.
Arbeitsprozesse und der Informationsaustausch können durch digitale Anwendungen verbessert und flexibel gestaltet werden.
Die elektronische Dokumentation von Informationen führt zu mehr Transparenz und Auswertungsmöglichkeiten (z. B. bei der Abrechnung von pflegerischen Leistungen).
Im Krankenhaus ist das KIS häufig Ausgangspunkt für weitere Digitalisierungsprozesse und kann mit weiteren Subsystemen (z.B. der elektronischen Patientenakte) verknüpft werden.
Im ambulanten Bereich können durch intelligente Anwendungen Fahrtzeiten verkürzt und erbrachte Leistungen in digitalen Systemen direkt vor Ort dokumentieren werden.
Digitale Lern- und Tutorsysteme ermöglichen eine flexible Wissensvermittlung und Unterstützung nach individuellem Leistungsniveau.
Nachteile / Risiken
Risiko mangelnder Datensicherheit und Störanfälligkeit digitaler Systeme.
Innovationsstress durch neue Anwendungen und entsprechende Kompetenzerfordernisse für Mitarbeitende.
Die Bedienung ist teilweise komplex und zeitaufwändig, gerade wenn digitale Kompetenz der Mitarbeitenden fehlt und die Technologien neu in Arbeitsprozesse eingeführt werden.
Arbeitsprozesse mit vielen Akteuren müssen neu organisiert werden, dies setzt entsprechende Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Systemen voraus.
Teilweise sind hohe Investitionskosten, zeitliche Ressourcen und Wissen nötig - kleinere Einrichtungen haben hier häufiger Nachteile.
Digitale Überwachungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden kann zu mehr Zeit- und Arbeitsdruck führen.
Daneben finden digitale Technologien im Bereich Pflege und Betreuung Anwendung. So zeichnen beispielsweise Monitoringsysteme voll automatisiert die Vitalparameter von Patientinnen und Patienten auf; elektronische Pflegedokumentationssysteme erlauben es, alle relevanten Patientendaten digital zu bündeln und orts- und zeitunabhängig abrufen zu können, und autonom fahrende Transportroboter bringen medizinisches Material von A nach B.
Vorteile / Chancen
Digitale Versorgungstools verbessern den Informationsaustausch sowie die Kommunikation zwischen den Gesundheitsberufen.
Digitale Anwendungen ermöglichen eine automatisierte Überwachung der Vitalparameter und Synchronisation dieser mit der elektronischen Patientenakte, dies kann u. a. Arbeitsbelastung reduzieren.
Eine höhere Standardisierung der Dokumentation kann Aufwand reduzieren und zu einer niedrigen Fehlerquote bei Pflege und Betreuung beitragen
Orts- und zeitunabhängiger Zugriff auf pflegerelevante Informationen (z. B. Diagnose, Medikation) und medizinische-pflegerische Versorgung über digitale Tools; dies erleichtert insbesondere auch die ambulante Versorgung.
Robotik findet in verschiedenen Bereichen Anwendung: Service- bzw. Transportrobotik (z.B. autonome Speisewägen), pflegenahe Robotik (z.B. Hebehilfen), Emotionsrobotik, Rehabilitationsrobotik, Haushaltsrobotik.
Nachteile / Risiken
Komplexe und langwierige Einführung neuer Technologien führt zu neuen Belastungen. Teilweise fehlende Benutzerfreundlichkeit und Passgenauigkeit für beruflich Pflegende als zentrale Anwendergruppe.
Digitale Versorgung wirft ethische Fragen auf, zum Bespiel bei der Anwendung des Telehealthmonitorings sowie der Robotik (z.B. Überwachung der Menschen, Haftungsfragen, Datenschutz).
Der flächendeckende Einsatz von Telecare ist aufgrund mangelhafter technischer Infrastruktur eingeschränkt (z.B. fehlender Internetzugang in ländlichen Regionen).
Robotertechnologie ist noch nicht genügend ausgereift, um autonome Pflegetätigkeiten durchführen zu können und deshalb insbesondere in diesem Bereich bisher kaum kommerziell verfügbar.
Die Digitalisierung kann außerdem zur Unterstützung von Pflegebedürftigen und Entlastung pflegender Angehöriger genutzt werden. So kann das sogenannte „Ambient Assistant Living“ (AAL) älteren und/oder von gesundheitlichen Einschränkungen betroffenen Menschen dabei helfen, ein selbstständigeres Leben in einem häuslichen Umfeld zu führen – zum Beispiel durch elektrische Hebehilfen für Treppen und die Badewanne oder digital vernetzte Sturzsensoren. Auch Nachbarschaftsnetzwerke zur Unterstützung und sozialen Teilhabe von Pflegebedürftigen in ihrem häuslichen Umfeld können über digitale Endgeräte und entsprechende Apps einfacher verwirklicht und aufrechterhalten werden.
Vorteile / Chancen
Entlastung der Pflegenden und Angehörigen durch Notwarnsysteme. Sturzsensoren werden häufig in der stationären Altenpflege eingesetzt.
Assistenzsysteme ermöglichen Pflegebedürftigen ein selbstständiges Leben. Anwendung finden automatische Systeme wie zum Beispiel Herdabschaltung, Nachtbeleuchtung sowie Türöffner.
Der Übergang vom Krankenhaus zurück nach Hause kann durch digitale Tools unterstützt werden (z.B. Notrufsysteme).
Nachbarschaftsnetzwerke ermöglichen mehr Teilhabe für Menschen mit körperlichen Einschränkungen und entlasten Pflegende bei niedrigschwelligen Unterstützungsleistungen.
Nachteile / Risiken
Die Entwicklung neuer Systeme erfolgt teilweise an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und der Angehörigen vorbei.
Im Krankenhaus werden umgebungsunterstützende Assistenzsysteme nur vereinzelt eingesetzt (z.B. automatische Beleuchtungssysteme auf den Stationen).
Bedenken hinsichtlich der Finanzierung digitaler Nachbarschaftshilfe und steigender administrativer Aufwand für Pflegedienste.
Wie verbreitet sind die verschiedenen Digitaltechnologien?
Die tatsächliche Nutzung einzelner Digitaltechnologien hängt dabei vor allem vom jeweiligen Einsatzbereich ab: Werden Pflegebedürftige stationär oder ambulant, in Lang- oder Kurzzeitpflege betreut? Handelt es sich um Alten- oder um Krankenpflege? Aussagen über die tatsächliche zahlenmäßige Verbreitung der einzelnen Digitaltechnologien in der beruflichen Pflege sind deshalb nur schwer zu treffen – auch weil repräsentative Auswertungen diesbezüglich fehlen. Es gibt aber verschiedene Studien, die auf Basis kleinerer, nicht repräsentativer Erhebungen Hinweise auf die Verbreitung bestimmter Digitaltechnologien liefern können, wie die folgenden Beispiele zeigen:
In einer Befragung von Braeske et al. 2017 gaben 71 Prozent der ambulante Pflegedienste an, vernetzte Touren- und Leistungserfassungen zu nutzen. Die Verbreitung elektronischer Pflegedokumentationen war mit 27 Prozent bei den befragten ambulanten Pflegediensten hingegen deutlich geringer ausgeprägt.
Im IT-Report Gesundheitswesen 2020 gab rund jedes zweite der befragten Krankenhäuser an, eine elektronische Patientenakte bzw. ein elektronisches Pflegedokumentationssystem zu nutzen (Hübner et al. 2020, S. 94).
In einer Befragung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (Merda et al. 2017, S. 119-120) von Pflegenden und Leitungskräften in stationären Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern und ambulanten Pflegediensten gaben rund 74 Prozent der Befragten an, elektronische Dokumentationssysteme zu nutzen, 32 Prozent nutzten altersgerechte Assistenzsysteme. Telecare und Telemedizin nutzten 27 Prozent der Befragten und Robotikttechnologien, zum Beispiel zur Lagerung und zum Transport von Personen, wurden von 21 Prozent der Befragten genutzt.