Die gemeinsame Initiative „Offensive Psychische Gesundheit“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bietet einen Überblick über Präventions-, Beratungs- und Unterstützungsangebote zum Umgang und zur Bewältigung psychischer Erkrankungen
Seit einigen Jahren lässt sich eine deutliche Zunahme an psychischen Beeinträchtigungen bei Erwerbstätigen beobachten. Neben körperlichen Erkrankungen tragen auch sie durch krankheitsbedingte Fehlzeiten unter anderem zu Personalengpässen bei. Auch die fortschreitende Digitalisierung des Arbeitsplatzes mit ihren vielfältigen Anforderungen an den Einzelnen dürfte daran ihren Anteil haben. Die Corona-Pandemie hat das Problem nochmals verschärft und gleichzeitig deutlich gemacht, wie wichtig gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen sind.
Bei den Arbeitsunfähigkeitszeiten rangieren psychische Erkrankungen aktuell an dritter Stelle; für gesundheitsbedingte Frühverrentungen sind sie sogar der Hauptgrund. Für die Volkswirtschaft bedeutet dies jährlich Belastungen in Milliardenhöhe durch Krankheits- und Produktionsausfallkosten.
Unsere psychische Gesundheit wird durch vielfältige Faktoren beeinflusst. Dazu zählen Aspekte, wie der individuelle Gesundheitszustand, die Sozialbeziehungen, aber auch individuelle Orientierungen (z.B. Sinnerleben) und Bewältigungskompetenzen wie z.B. Resilienz.
Entsprechend unterschiedlich reagieren Beschäftigte auf spezifische Arbeitsbedingungen. Als Risikofaktoren für die psychische Gesundheit sind hier beispielsweise eine hohe Arbeitsintensität – soweit sie nicht selbst beeinflussbar ist - oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz bekannt. Faktoren wie eine wertschätzende Führung, ein gutes Betriebsklima und soziale Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen haben dagegen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit.
Zusätzlich bestimmen Entwicklungen in der Arbeitswelt, allen voran die Globalisierung (z.B. erweiterte Erreichbarkeitserwartung durch global vernetzte Produktion) und Digitalisierung wie belastet sich die Beschäftigten bei uns fühlen. Durch letztere ergeben sich für die Mitarbeitenden in Betrieben neue Chancen, aber auch Risiken für ihre Gesundheit. Der Lockdown vom Frühjahr 2020 hat dies klar vor Augen geführt, als digitale Tools wie zum Beispiel Cloud Computing, Video-Meetings und Fernzugriff-Systeme auf das Firmennetzwerk im Home-Office zum neuen Alltag wurden. Sie machen ein selbstbestimmteres Arbeiten möglich, setzen neue Lernanreize und ermöglichen eine bessere Vereinbarkeit von Arbeits- und Lebenssphären durch freiere Zeiteinteilung.
Auf der anderen Seite brachten diese neuen Technologien auch Gefahren für die psychische Gesundheit mit sich: Das Gefühl, ständig erreichbar zu sein, kann bei Menschen zu Erholungsproblemen führen. Die parallele Nutzung verschiedener digitaler Werkzeuge und Systeme begünstigt zudem das Auftreten von mentalen Überforderungen, sprich: Stress durch Informationsüberflutung. Dies kann in Konzentrations- und Schlafstörungen sowie chronischen Stressreaktionen münden. Die Einarbeitung in digitale Tools macht zudem ein kontinuierliches Hinzulernen nötig, das als Zwang und Überforderung wahrgenommen werden kann. Zudem schafft Digitaltechnik auch neue Möglichkeiten der Leistungsüberwachung, die bei Beschäftigten Sanktionsängste und übersteigertes Leistungsverhalten bewirken können.
Digitale Veränderungsprozesse sind in den Betrieben weit verbreitet: Im Jahr 2018 gaben in einer repräsentativen Stichprobe unter Erwerbstätigen 47 Prozent der Befragten an, dass in ihrem Arbeitsumfeld in den vergangenen zwei Jahren neue Softwareprogramme und bei 32 Prozent neue Verfahrenstechniken eingeführt worden waren (Meyer et al. 2020). Das Banken- und Versicherungsgewerbe ist mit 65 Prozent, gefolgt von der Elektro- und Metallindustrie mit 55 Prozent der Beschäftigten, am häufigsten von der Einführung neuer Computerprogramme betroffen. Mit der Einführung neuer Verfahrenstechniken waren dagegen eher Beschäftigte aus der Elektro- und Metallindustrie (51 Prozent) konfrontiert (BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018).
Ein interessanter Befund aus der Befragung: Beschäftigte, bei denen neue Computerprogramme eingeführt wurden, sind offensichtlich zufriedener mit den Arbeitsinhalten, den Möglichkeiten der Arbeitsausführung und dem Einsatz ihrer Kompetenzen als Beschäftigte ohne diese Veränderungen. Hier zeigen sich die Potenziale der Digitalisierung: Sie schafft mehr Freiräume und Kooperationsmöglichkeiten, was wiederum dazu beitragen kann, Anforderungen und Belastungen zu verringern. Die Arbeit kann zudem eigenständiger organisiert werden. Doch trotz der hohen Zufriedenheit mit der Arbeit geben Beschäftigte nach der Einführung neuer Computerprogramme häufiger sogenannte stressassoziierte Erkrankungen an: Sie leiden öfter unter Kopfschmerzen, Schlafstörungen, emotionaler Erschöpfung, Nervosität und Ermüdungserscheinungen. Der Einsatz der Digitalisierung scheint also seinen Preis zu haben. Denn mit der Digitalisierung geht auch ein stärkerer Termin- und Leistungsdruck einher, wie die Befragten aus Arbeitsbereichen mit neuen Computerprogrammen angaben. Zudem fühlten sie sich von häufigen Arbeitsunterbrechungen und Multitasking-Anforderungen betroffen.
Bei den Altersgruppen sind es laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung von 2018 die 25- bis 34-Jährigen, deren Arbeitsplätze den höchsten Digitalisierungsgrad aufweisen und demnach auch am meisten unter digitalem Stress leiden (Gimpel et al. 2018). Frauen sind hiervon noch stärker betroffen als Männer. Dabei stellt der Digitalisierungsgrad allein kein Risikofaktor für psychische Gesundheit dar. Denn wer die erforderlichen digitalen Kompetenzen im Umgang mit der benötigten Technik hat und in einem Arbeitsumfeld arbeitet, das einen effektiven Einsatz der Technik fördert, weist ein geringeres Risiko auf, Digitalisierung als Stress zu empfinden. Umgekehrt kann eine ungenügende Qualifizierung für die eingesetzte Technik und eine unzureichende Arbeitsgestaltung zum Problem werden. In solchen Fällen gibt es noch Nachholbedarf in den Betrieben und bei den Beschäftigten.
Bei der Einführung neuer Technik gilt das Gestaltungsprinzip: Technikveränderung geht vor organisationalen Veränderungen und zuletzt sollten personelle Maßnahmen vorgenommen werden. In einem ersten Schritt ist zu überprüfen, ob die neu eingesetzte Technik Veränderungen in der Arbeitsorganisation verursacht und ob sie die Kompetenzen und Bedürfnisse der Nutzenden berücksichtigt. Neue Arbeitsabläufe erfordern oft auch die sorgfältige Schulung der Mitarbeitenden im Umgang mit digitalen Tools. Eine sinnvolle Ergänzung hierzu stellen Stressmanagement-Seminare dar, in denen Methoden zur Verhinderung bzw. Bewältigung von Stress vermittelt werden. Darüber hinaus sollte die Bereitstellung verlässlicher Technologien selbstverständlich sein und in Notfällen auf die Expertise eines Support-Dienstes zurückgegriffen werden können.
Zwei Dinge zur digitalen Stressreduzierung kann aber auch jeder Betroffene ganz leicht selbst anwenden: So empfehlen die Autoren einer Studie der Universität St. Gallen von 2016, in der Freizeit auch mal auf technische Spielereien zu verzichten. Sport und Bewegung an der frischen Luft bewirken dagegen verlässlich wahre Wunder.