Für die einen ist es das Wundermittel gegen Stress – für die anderen ein inflationär verwendetes Modewort: Resilienz (Widerstandsfähigkeit). Die Haltung dahinter kann allerdings Erwerbstätigen in der Tat nützen, gegenüber Belastungen im Arbeitsleben besser gewappnet zu sein. Resilienz-Forscher haben Strategien identifiziert, wie Menschen auf eine hohe Arbeitsbelastung sowie auf einschneidende Veränderungen besser reagieren können. In Corona-Zeiten, wo Menschen um ihren Arbeitsplatz bangen, ein umso wichtigeres Thema. Doch Resilienz ist nicht immer der Heilsbringer.
Der australische Busch ist es, weil er nach einem Großbrand wieder nachwächst. Das Pumpsystem im Wasserwerk ist es, wenn es bei einem Teilausfall nicht komplett versagt. Und der Mensch kann es auch sein, wenn er an harten Schicksalsschlägen, wie an einem Verlust des Arbeitsplatzes oder an einer Krebsdiagnose, nicht zerbricht: resilient. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und lässt sich mit „zurückspringen“ und „abprallen“ übersetzen. In der Physik werden damit Materialien beschrieben, die nach Verwendung in ihre ursprüngliche Form zurückkehren wie etwa der Stressball. Die Psychologie arbeitet lieber mit der Übersetzung „psychische Widerstandsfähigkeit“. Die Populärliteratur, die zu dieser Thematik seit den 1990ern zuhauf auf den Markt kommt, schreibt von „unverwüstlich sein“.
Dabei reicht der Begriff viel früher zurück. Bereits in den 1970ern stellte die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner bei Kindern auf Hawaii fest, dass manche in extremer Armut oder mit Gewalt aufwachsende Kinder trotz ihrer schwierigen Startbedingungen nicht auf die schiefe Bahn geraten, sondern ein stabiles Leben mit einem guten Job und einer intakten Familie führen. Lange Zeit galt Forschern Resilienz als angeboren. Entweder man hatte sie, oder man hatte sie nicht. Dann setzte sich in der Wissenschaft die Meinung durch, Resilienz könne erlernt werden. Heute ist sich die Mehrheit der Forscher einig, dass Resilienz tatsächlich eine Haltung für Erwerbstätige sein kann, Belastungen besser Stand zu halten. Zum Beispiel Stress durch die Digitalisierung oder durch ein hohes Arbeitspensum – oder sogar durch die Belastung, zu wenig Arbeit zu haben oder womöglich in der Gefahr zu stehen, den Arbeitsplatz zu verlieren.
Auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können mithelfen, diese Haltung bei ihren Mitarbeitenden zu stärken, indem sie die so genannten „shared values“ betonen. Wer weiß, wofür er den Stress auf sich nimmt – zum Beispiel für ein klar kommuniziertes Ziel des Unternehmens – kann diesen Stress besser aushalten. Wer weiß, warum er sich in das neue Computer-System einarbeitet und welchen Nutzen dieses langfristig verspricht, kann auch mit plötzlich aufpoppenden Problemen besser umgehen. Doch Resilienz liegt vor allem in der Haltung selbst, ob Beschäftigte das berühmte Wasserglas eher halb voll oder eher halb leer sehen. Optimismus und die Kenntnis der eigenen Stärken (Ressourcen) sind ganz entscheidende Bausteine für Widerstandsfähigkeit in belastenden Phasen, sagen Resilienz-Forscher des Leibniz-Instituts in Mainz. Die Fähigkeit, Selbstverantwortung zu übernehmen und sich dem Schicksal nicht zu ergeben, sei essenziell. Beschäftigte können somit große Aufgaben in kleine, zu bewältigende Schritte unterteilen. Und manchmal muss man als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer auch akzeptieren, dass das große Ganze in seiner Struktur krankt – und man manche Dinge eben nicht verändern kann. Dazu können betriebliche Rahmenbedingungen, wie eine zu kleine Belegschaft oder eine falsche Unternehmensstrategie, aber auch unkalkulierbare Marktentwicklungen, unzufriedene Kundinnen und Kunden sowie ein unkollegiales Arbeitsumfeld gehören.
Unternehmensführung und Mitarbeitende können zudem aktiv daran arbeiten, auch die positiven Einflüsse auf ihre Psyche zu stärken. Der menschlich so wertvolle Austausch mit Kolleginnen und Kollegen (Teamwork), die Work-Life-Balance mit einem erfüllten Freizeitleben als Ausgleich zum Arbeitstag sowie ausreichend Schlaf und eine gesunde Ernährung, wie das Leibniz-Institut für Resilienzforschung empfiehlt. Die Beobachtungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Mainzer Universitätsmedizin belegen, dass Menschen mit einem aktiven Sport- und Freizeitleben resilienter gegenüber Belastungen bei der Arbeit sind. Es liegt somit auch im Interesse des Unternehmens, diesen Ausgleich zu unterstützen, indem sie z.B. erholungsförderliche Arbeitszeit- und Pausenregelungen einführen. Die Gewährung und Kultivierung von Kurzpausen, eine systematische Vermeidung ausufernder Arbeitszeiten und Regelungen zum frühzeitigen Ausgleich von Mehrarbeit stellen einfache betriebliche Maßnahmen dar, die die Erholung der Mitarbeitenden stärkt. Neben Veränderungen der Arbeitszeitgestaltung können auch mehr Partizipationsmöglichkeiten der Beschäftigten, Veränderung von Arbeitsinhalten, das Ausschöpfen von Handlungsspielräumen oder konstruktive Feedbacks zur Arbeit die Resilienz im Unternehmen stärken.
Doch eines geben Resilienz-Forscherinnen und Forscher ebenfalls Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit auf den Weg, die dutzende von wissenschaftlichen Studien zur Resilienz und Resilienz-Trainings international ausgewertet haben: Es braucht Zeit, bis die Resilienz als Wundermittel gegen Stress wirkt.