Wie hat sich die Rolle der Führungskräfte im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verändert?
Josephine Hofmann: Provokant formuliert: vom Vorgesetzten zur Führungskraft. Früher wurde eher bestimmt – heute gehen Führungskräfte eher voraus; als eine Person, die Menschen inspiriert, begleitet, aber nicht schubst. Führungskräfte verabschieden sich immer mehr von der hierarchischen Führung, die nur Anordnungen gibt und die Mitarbeitenden kontrolliert. Heute brauchen Führungskräfte mehr Kompetenz, Mitarbeitende zu begleiten – und zu entwickeln. Sie müssen zu einer Person werden, der Mitarbeitende gerne folgen möchten. Sie müssen eine Idee vermitteln, die die Leute hinter sie scharrt.
Zieht sich diese Entwicklung bereits durch alle Branchen durch?
Hofmann: Sicherlich gibt es noch traditionelle Branchen, die da konservativer sind. Tradierte Familienunternehmen zum Beispiel, Unternehmen im klassischen produzierenden Gewerbe, aber auch Großkonzerne mit vielen Hierarchieebenen. Auf der anderen Seite gibt es die Branchen, die per se modern sind, und die sich bereits sehr anstrengen müssen, gute Leute zu bekommen.
Wie schafft man es als Führungskraft, gute Leute an sich binden?
Hofmann: Wir leben in einer sehr unbeständigen Zeit – da muss die Führungskraft eine große Lernfähigkeit aufweisen. Sie sollte sich auch sehr durch ihre Kommunikationsstärke und Medienkompetenz auszeichnen. Sie muss darüber hinaus ein Mindestmaß an Fürsorgebereitschaft und Empathie mitbringen. Doch das alles nützt wenig, wenn sie nicht diese unangefochtene Fachexpertise hat, die ihr Glaubwürdigkeit verleiht. Bereits heute müssen Führungskräfte stark darin sein, gute Leute zu finden, in guten Positionen zu entwickeln und Mitarbeitende untereinander zu vernetzen – um dann im Idealfall zurückzutreten und den eigenen Leuten die Bühne zu überlassen.
Dr. Josephine Hofmann leitet das Team „Zusammenarbeit und Führung“ des Fraunhofer IAO in Stuttgart. Sie ist gleichzeitig stellvertretende Leiterin des Forschungsbereiches Unternehmensentwicklung und Arbeitsgestaltung. Damit ist sie maßgeblich verantwortlich für die strategische Weiterentwicklung und die Akquisition von Projekten in den Themengebieten Organisationsentwicklung, Digital Leadership, New Work Konzepte sowie Neue Lernformen und Mitarbeiterentwicklung. Die persönlichen Beratungs- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Themen neue Führungskonzepte, flexible und virtuelle Kommunikation und Kollaboration, der Organisationsentwicklung und des Change Managements sowie der Entwicklung und Implementation neuer Lern- und Entwicklungsansätze im demografischen Wandel.
Was meinen Sie mit Medienkompetenz? Dass man gerne auf Social-Media-Kanälen ist?
Hofmann: Das gehört dazu. Aber damit ist in erster Linie gemeint, dass wir künftig noch besser über Distanzen kommunizieren müssen. Das haben uns die vergangenen Jahre Corona-Pandemie gelehrt. Gute Führungskräfte müssen auch über digitale Medien gut moderieren können. Dazu dürfen sie sich nicht scheuen, sich beständig in neue Technologien einzuarbeiten. Das kann keine Führungskraft seiner Sekretärin überlassen! Medienkompetenz meint also die Fähigkeit, über digitale Medien einen intensiven Kontakt zu den Mitarbeitenden zu halten! Und dass verschiedene Medienarten auch verschiedene Kommunikationsstile bedürfen. Umso mehr überrascht uns in unseren Studien, dass diese Fähigkeiten heutzutage angehenden Führungskräften nur sehr unzureichend beigebracht werden.
Wie hat sich jetzt durch Corona diese neue Führungskultur weiter geändert?
Hofmann: Noch wichtiger sind die Stärken Kommunikation und Vertrauen geworden. Ist da eine Führungskraft, die ihr Team zusammenhalten kann? Ist sie auch in der Lage, ihr eigenes Führungsverhalten zu reflektieren, aus Fehlern zu lernen und sich anzupassen? Nur wer sich permanent weiterentwickelt, kann eine gute Führungskraft sein. Viele Führungskräfte mussten deutlich mehr Zeit für die Kommunikation aufbringen. Sie mussten viel aktiver telefonieren, Videokonferenzen machen und Chat-Nachrichten schreiben, um in der hybriden New-Work-Situation Nähe herzustellen. Das waren sehr lehrreiche Monate für unsere künftige Arbeitswelt, die uns enorm nach vorne gebracht haben. Auf uns kommen gerade sehr viele Anfragen zu, Führungskräfte noch mehr zu schulen. Denn eingespielte Verfahrensweisen sind passé – Führungskräfte brauchen für die New-Work-Welt gezielte Unterstützung in Form von Weiterbildung. Das wird dringend, denn wir merken bereits jetzt in einigen Branchen, dass es gar nicht mehr so attraktiv ist, Führungskraft zu werden. Da steuern wir von einem Fachkräftemangel auf einen Führungskräftemangel zu.
Welche Bereiche sind das?
Hofmann: Gerade in Bereichen, in denen Beschäftigte mit akademischer Ausbildung attraktive Jobs haben, wird es zunehmend schwierig, Menschen zu finden, die bereit sind Führungskraft zu werden. Gerade auf der mittleren Führungsebene in den berühmten „Sandwich-Positionen“ ist Führungsverantwortung häufig eine undankbare Aufgabe. Das sind meistens Leute, die viel zu wenig Zeit für echte Führungsarbeit haben, hinzu kommen die mangelnde Wertschätzung und nicht immer attraktive Bezahlung für Führungsarbeit. Deshalb müssen wir Führungskraft künftig anders denken: Was ist mit mehr Führungstandems? Und warum muss es immer ein Karriere-Rückschritt sein, von der Führungsverantwortung wieder in die Linie zu wechseln? Man kann doch auch mal sagen „Ich mach das jetzt zehn Jahre – und dann wieder was anderes.“ In Deutschland ist das nahezu unmöglich! Das führt dazu, dass Leute oft viel zu lange auf diesen Jobs sitzen. Das macht dann niemanden mehr Spaß und man verpasst auch die rechtzeitige Nachfolge.
Wann werden wir denn einmal zwei Bundeskanzlerinnen oder Bundeskanzler haben?
Hofmann: Das wird sicher so nicht stattfinden! Aber Sie werden lachen, ich hatte tatsächlich mal das Vergnügen im Rahmen einer von der scheidenden Bundeskanzlerin initiierten Veranstaltung zum Thema Frauen in Führungspositionen einen Workshop zum Thema „Geteilte Führung“ zu erleben. Angela Merkel hat sich ja für Frauen in Führung stark gemacht und hierzu einmal im Jahr zu einem Erfahrungsaustausch eingeladen. Das Amt der Bundeskanzlerin ist natürlich qua Grundgesetz unteilbar, aber wir sehen ja bereits bei den Doppelspitzen in den Parteien, dass wir in Deutschland durchaus mutiger werden könnten, in solchen Doppelkonstruktionen zu denken. Mir wird häufig über geteilte Führung berichtet, dass das von den Beteiligten als wertvoll empfunden wird. Weil sich zum Beispiel viele Führungskräfte einsam fühlen. Mit den Mitarbeitenden gehen sie nicht mehr Mittagessen und über negative Erlebnisse reden sie mit ihrer Führungskraft wiederum nicht. Es hat in Deutschland leider viel zu wenig Tradition, dass sich Führungskräfte mehr als Mannschaft und weniger als Einzelkämpfer sehen. Dabei würde auch das deutlich etwas an der Attraktivität der Führungsverantwortung ändern.