Wido Geis-Thöne, Migrationsforscher am Institut der deutschen Wirtschaft
Mit dem Übergang der geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer ins Rentenalter werden in den nächsten Jahren am deutschen Arbeitsmarkt immer größere Fachkräftelücken entstehen. Gleichzeitig dürfte auch die für die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre bedeutende Zuwanderung aus den neuen EU-Ländern mit dem Voranschreiten des demografischen Wandels dort stark zurückgehen. Daher werden die deutschen Betriebe zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im nächsten Jahrzehnt in zunehmendem Maße auch auf qualifiziertes Personal aus Drittstaaten angewiesen sein.
„Oft ist kaum absehbar, ob und wann Personal aus Drittstaaten einreisen kann.“
Als Ökonom für Familienpolitik und Migrationsfragen forscht Dr. Geis-Thöne am IW u. a. zu demografischen Entwicklungen, frühkindlicher Bildung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Fachkräftezuwanderung und Arbeitsmarktintegration. Zuvor hat er an der Universität Tübingen Internationale Volkswirtschaftslehre studiert und dort promoviert.
Auch wenn die Zugangsmöglichkeiten für Erwerbszuwanderer bereits deutlich liberalisiert wurden, ist es für Betriebe, die in Drittstaaten Mitarbeiter rekrutieren wollen, häufig kaum absehbar, ob und wann diese einreisen können. Einen neuralgischen Punkt bilden dabei die persönlichen Vorsprachen bei den Botschaften und Konsulaten, die häufig mit monatelangen Wartezeiten einhergehen können. Ein weiterer schwieriger Punkt sind die Einzelfallprüfungen zur Anerkennung der beruflichen Abschlüsse. Daher sollte bei der Weiterentwicklung des Zuwanderungsrechts in den nächsten Jahren auch ein besonderer Fokus auf die Verfahrenswege gelegt werden. Dennoch wird es auch in Zukunft nicht allen Betrieben möglich sein, direkt in Drittstaaten Personal anzuwerben. So ist es gerade für kleinere Unternehmen wichtig, dass gut qualifizierte Personen, die an einer Erwerbstätigkeit in Deutschland interessiert sind, auch ohne bestehendes Stellenangebot einreisen können. Die bestehenden Visa zur Arbeitsplatzsuche reichen hierfür nicht aus, da insbesondere junge Hochschulabsolventen meist nicht über den geforderten gesicherten Lebensunterhalt verfügen.
Wolfram Kuhn, Geschäftsführer Herborner Pumpen
Aktuell stehen wir durch den Krieg in der Ukraine und den daraus resultierenden Lieferkettenproblemen vor Herausforderungen, die alles überschatten. Dennoch herrscht weiterhin Fachkräftemangel. Für uns Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber geht es bei einer hilfreichen Ausgestaltung der Zuwanderungspolitik vor allem darum, eine qualifizierte und arbeitsmarktorientierte Zuwanderung aus allen Staaten der Welt zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund sind mir die folgenden Punkte wichtig: Wir müssen wissen, mit welchen deutschen Abschlüssen eventuell vorhandene Abschlüsse der Bewerberinnen und Bewerber vergleichbar sind. Das dürfte bei Akademikerinnen und Akademikern relativ leicht sein, bei Facharbeiterinnen und Facharbeitern oft gar nicht. Es geht dabei nicht um ein Zertifikat oder ähnliches, sondern um die tatsächlich verwertbaren Kenntnisse.
„Spätestens nach der Einarbeitung darf keine Abschiebung mehr drohen.“
Nach seinem Maschinenbau-Studium an der Universität Siegen hat Kuhn als Entwicklungsingenieur für Automobilunternehmen gearbeitet. 1989 stieg er bei Herborner Pumpen ein und übernahm zunächst die technische Geschäftsführung, bevor er als direkter Nachfahre des Unternehmensgründers 1996 alleiniger Geschäftsführer wurde.
Deutschkenntnisse sind zudem leider unabdingbar. Viele unserer Facharbeiterinnen und Facharbeiter haben keine ausreichenden Englischkenntnisse, um mit Kolleginnen oder Kollegen zu kommunizieren; bei anderen Sprachen sieht es noch schlechter aus. Spätestens mit Abschluss der Einarbeitungsphase darf auch nicht mehr das Damoklesschwert einer Abschiebung über der Bewerberin oder dem Bewerber schweben. Diesbezüglich muss der Bürokratismus eingeschränkt beziehungsweise müssen Verfahren beschleunigt werden. Und wir brauchen auch ungelernte Bewerberinnen und Bewerber mit Deutschkenntnissen, wenn auch weit geringer als Fachkräfte. Neben Grundkenntnissen der deutschen Sprache ist der Wille zum Arbeiten wichtig. Letzteres bekommt man nur während der Probezeit mit – auch hier wären schnelle, klare Perspektiven für die Bleibemöglichkeiten der Kandidatinnen und Kandidaten wichtig.
Nick Woischneck, Gewerkschaftssekretär IG Metall NRW
Die Themen Zuwanderung und Fachkräfte sind zu Dauerbrennern der politischen Diskussion in Deutschland geworden. Sie kocht meist dann hoch, wenn sie mit anderen Ereignissen korreliert, wie etwa Fluchtbewegungen oder aktuell dem Fehlen von Arbeitskräften in der Gastronomie und an den Flughäfen. Es fällt auf, dass Deutschland mittlerweile ein niederschwelliges Zuwanderungsrecht hat, die Zahlen, gerade im Bereich von Fachkräften , aber hinter den Erwartungen zurückbleiben. Gründe hierfür sind u. a. Bürokratie, sprachliche Barrieren und gesellschaftlicher Rassismus. Ausländische Fachkräfte sind ein Bestandteil der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Dem muss ein modernes Staatsbürgerschafts- und Einwanderungsrecht Rechnung tragen. Elementar ist aber die gesellschaftliche Integration.
„Wir müssen die Ausweitung atypischer und prekärer Beschäftigung vermeiden.“
Nick Woischneck ist Politik- und Sozialwissenschaftler (MA). Als Gewerkschaftssekretär in der Bezirksleitung der IG Metall Nordrhein-Westfalen sind seine Arbeitsschwerpunkte Transformation, Strukturpolitik und die arbeitnehmer- und beteiligungsorientierte Beratung bei Innovationsprozessen.
Nicht in allen Branchen und Regionen besteht ein Mangel an Fachkräften , und er kann auch nicht allein durch Zuwanderung gelöst werden. Vielmehr braucht es eine Weiterbildungsoffensive. Denn viele der als Mangelberufe klassifizierten Berufsbilder finden sich in Branchen mit niedriger Bezahlung und Tarifbindung. Es ist unbedingt zu vermeiden, dass es zu einer Ausweitung atypischer und prekärer Beschäftigung kommt. Zentrales Instrument zur Anwerbung von Fachkräften – aus dem In- und Ausland – muss somit Ausbildung und gute und faire Arbeit durch Tarifbindung sein. Eine moderne Zuwanderungspolitik muss also mehrere Dimensionen umfassen: Qualifizierung, ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht mit klaren Perspektiven, Integrationspolitik, Kampf gegen Rassismus und gute und faire Arbeit. Gewerkschaften müssen als Integrationsmotor mit ihren tariflichen Vereinbarungen dabei ein zentraler Akteur sein.