Immer mehr Menschen üben zusätzlich zu ihrem Hauptberuf einen Nebenjob aus. Diesem wachsenden Trend in Deutschland geht die Fachwelt seit einigen Jahren genauer auf den Grund. Sie spricht dabei von einer Erwerbshybridisierung – ein Begriff in Anlehnung an das lateinische hybrida, das für eine Zusammensetzung von Verschiedenartigem steht. Seit etwa 20 Jahren lässt sich ein kontinuierlicher Anstieg der „Doppeljobber“ beobachten. Das wirft naheliegende Fragen auf: Warum nimmt diese Entwicklung zu? Welche Personengruppen und Branchen sind am meisten betroffen?
Trotz begrenzter Studienlage liefern aktuelle Untersuchungen einige interessante Indizien. Trends am Arbeitsmarkt wie zum Beispiel die deutlich verbesserten Beschäftigungsaussichten des letzten Jahrzehnts, eine zunehmende Teilzeitquote sowie der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft haben die Entwicklung wesentlich begleitet. Insbesondere die Arbeitsmarktreformen Anfang der 2000er-Jahre scheinen für den Anstieg der Mehrfachbeschäftigung eine wichtige Rolle zu spielen. So wurde 2003 per Gesetz die abgabenfreie Ausübung einer geringfügigen, nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung – besser als Minijob bekannt – neben einer versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung wieder möglich. In Folge stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit geringfügiger Nebenbeschäftigung von einer Million Menschen im Jahr 2003 auf knapp drei Millionen im Jahresdurchschnitt 2019 an.
Hauptjob plus Minijob ist jedoch nur eine Variante der Erwerbshybridisierung. Ein weitere ist die Festanstellung ergänzt um eine selbständige Tätigkeit. Diese lässt sich als hybride Beschäftigung bezeichnen. So umfasst der Begriff Erwerbshybridisierung im Wesentlichen also zwei Untertypen: die Mehrfachbeschäftigung und die hybride Beschäftigung. Bei ersterem handelt es sich um eine mehrfach abhängige Beschäftigung – wenn also zum Beispiel ein Angestellter im Nebenerwerb einer weiteren sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit oder einem Minijob nachgeht. Bei zweiterem handelt es sich um eine Kombination aus einer abhängigen Beschäftigung und Selbständigkeit.
Der Anteil der hybrid Beschäftigten an der Gesamtzahl aller Selbständigen war von 1995 bis 2002 weitgehend konstant, im Anschluss ließ sich ein spürbarer Anstieg erkennen. Wollte man anhand der bisherigen Studienergebnisse (Kay/Suprinovic, 2019; Gruber, 2019) einmal einen typischen hybrid Beschäftigten entwerfen, so wäre er männlich, 34 Jahre alt, verheiratet und hätte Kinder. Sein Hauptjob wäre eine abhängige Beschäftigung, seiner Selbständigkeit ginge er im Nebenerwerb nach. Und zwar im Dienstleistungssektor, zum Beispiel in der Erbringung von wissenschaftlichen Dienstleistungen – er könnte Gutachter oder Datenanalyst sein. Er wäre solo-selbständig, hätte also keine Mitarbeiter. Im Vergleich zu ausschließlich Selbständigen hätte er ein höheres Bildungsniveau. Dies ist natürlich eine gute Grundvoraussetzung, um im Nebenerwerb einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen – so wie es auch seine Bekannten tun, darunter Juristinnen und Ärzte. Gleichzeitig beobachtet er in seinem Freundeskreis wie auch einfachere Tätigkeiten vermehrt selbstständig im Nebenerwerb ausgeübt werden. Dies zeigt ihm vor allem eins: Hybrid Beschäftigte sind eine sehr heterogene Gruppe. Vielleicht plant seine Frau, einen ähnlichen Weg einzuschlagen wie er: Denn Frauen holen anteilsmäßig bei den hybrid Beschäftigten seit 25 Jahren spürbar auf.
Bei den Mehrfachbeschäftigten sind Frauen anteilsmäßig bereits seit vielen Jahren die stärkste Gruppe. Das häufigste Modell der Mehrfachbeschäftigung ist der versicherungspflichtige Hauptberuf mit einem Minijob im Nebenerwerb. Das zeigt eine Publikation der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2018. So hat bundesweit jede zehnte sozialversicherungspflichtige Frau einen geringfügigen Minijob, bei den Männern ist es jeder fünfzehnte. Die typische Mehrfachbeschäftigte stammt aus Westdeutschland und arbeitet in ihrem Hauptberuf in Teilzeit . Was das Entgelt Vollzeitbeschäftigter betrifft können wir schließen, dass eine mehrfachbeschäftigte Person im Hauptjob weniger als eine Einfachbeschäftigte verdient, die keinen Nebenjob hat. Eine typische weibliche Mehrfachbeschäftigte könnte im Hauptjob im Gastgewerbe arbeiten und im Nebenjob als Reinigungskraft. Ein typischer männlicher Mehrfachbeschäftigter wäre dagegen im Hauptjob in Vollzeit im verarbeitenden Gewerbe tätig, im Nebenjob könnte er Hausmeister sein.
Die Frage, ob Erwerbshybridisierung als Signal interpretiert werden kann, dass das Einkommen einer Tätigkeit für den Beschäftigten nicht mehr ausreicht, um den gewünschten Lebensstandard aufrechtzuerhalten, lässt sich aus den vorliegenden Daten nicht pauschal beantworten. Laut eines Kurzberichts des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von 2018 können bei den Mehrfachbeschäftigten die Motive für die Aufnahme eines Nebenjobs grob in zwei Kategorien geteilt werden: 1. finanzielle Gründe und 2. Spaß und Prestige. Dabei spielen Entgelt aus Haupt- und Nebentätigkeit in beiden Fällen aber natürlich eine Rolle. Der Bruttoverdienst liegt beispielsweise bei Mehrfachbeschäftigten auf einen Vollzeitjob gerechnet im Schnitt um 500 Euro niedriger bei Einfachbeschäftigten.
Bei einer Online-Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung von 2019 unter beiden Gruppen – also Mehrfachbeschäftigten und hybriden Beschäftigten – gaben die Beteiligten zum größten Teil an, dass ein „lukratives Einkommen durch die Nebentätigkeit“ ihr Hauptmotiv für die Aufnahme eines Zweitjobs gewesen sei. Sehr häufig wurde zudem der Wunsch nach „Zusammenarbeit und Kommunikation mit anderen Menschen“ sowie „Verwirklichung einer Leidenschaft“ genannt. Das Motiv „finanzielle Schwierigkeiten“ lag in der Befragung erst auf Platz 5 der häufigsten Antworten, gefolgt von „Erfüllung besonderer Konsumwünsche“.
Es wird Aufgabe der Wissenschaft sein, diese Entwicklung weiter zu verfolgen und dabei genauestens zwischen den beiden Gruppen zu differenzieren. Denn die bisherige Befundlage deutet daraufhin, dass mehrfach und hybrid Beschäftigte sich in ihrer Struktur stückweise zwar ähneln, jedoch auch wesentliche Unterschiede aufweisen. Weitere Studien werden wichtige Anhaltspunkte für die künftige Ausgestaltung der Arbeitspolitik in Deutschland liefern – denn zwischen Last und Leidenschaft nach Feierabend liegt ein himmelweiter Unterschied.