Immer mehr Menschen in Deutschland gehen nach Feierabend einer Nebentätigkeit nach. Bei vielen ist es der Minijob , der zusätzlich zum Hauptberuf ausgeübt wird. Aber auch die Zahlen der hybrid Beschäftigten steigen – also jene, die neben ihrer abhängigen Beschäftigung noch selbständig sind. Was sind die Motive für die Aufnahme eines Zweitjobs? Wie wirkt sich die Pandemie auf diese Entwicklung aus? Wir haben zwei Arbeitswissenschaftler zu den Hintergründen gefragt. Lesen Sie hier die Antworten von Enzo Weber, Spezialist zum Thema Mehrfachbeschäftigung . Das Interview mit Rosemarie Kay, Expertin für hybride Beschäftigung, finden Sie hier.
Was sind die Hauptmotive für die Aufnahme einer weiteren abhängigen Beschäftigung zusätzlich zum Hauptjob? Reicht etwa das Gehalt aus einer Tätigkeit nicht mehr aus?
Enzo Weber: Es gibt alle möglichen Motive, die dazu führen, dass Beschäftigte einen Nebenjob aufnehmen. Eines der wichtigsten Motive ist finanziell begründet. Nebenjobber verdienen im Hauptjob durchschnittlich deutlich weniger als Menschen ohne Nebenjob. Allerdings ist Mehrfachbeschäftigung kein reines Armutsphänomen, sondern streut innerhalb der Gesellschaft breit. Die Qualifikation oder das Geschlecht wirken sich beispielsweise ebenso auf die Wahrscheinlichkeit aus, einen zusätzlichen Job zur Hauptbeschäftigung aufzunehmen.
Neben finanziellen Motiven gibt auch andere Gründe für einen Zweitjob, beispielsweise die Ergänzung des Hauptjobs um Tätigkeiten, die Spaß machen oder Prestige einbringen. Beispiele hierfür wäre der Controller, der im Nebenjob als Programmierer tätig ist oder ein Angestellter, der abends als Musiker auftritt. Dieses Motiv nennen wir auch Portfoliomotiv.
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Entwicklung der Mehrfachbeschäftigung aus?
Weber: Kurzfristig wirkt sich die Corona-Pandemie negativ aus. Das vergangene Jahr hat den Trend der vergangenen Jahre vorerst gedämpft. Jobs sind sowohl im Haupt- als auch im Nebenjob deutlich zurückgegangen. Allerdings fallen Mini- und Nebenjobs in Krisen zuerst weg, weshalb sich Corona drastischer auf sie ausgewirkt hat. Viele Personen verloren ihre Nebentätigkeit binnen kürzester Zeit, ohne Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Mittelfristig wird der Anteil der Personen, die mehr als einer Erwerbstätigkeit nachgehen, wieder steigen.
Prof. Enzo Weber ist Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Regensburg. Er leitet den Forschungsbereich “Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Wie ist Mehrfachbeschäftigung im Hinblick auf die Altersvorsorge zu bewerten? Gibt es Änderungsbedarf?
Weber: Für Mini- oder Nebenjobs wird in der Regel nicht in die Rentenkasse eingezahlt, sodass diese Jobs auch nicht zur Alterssicherung beitragen. Arbeitet eine Person 20 Stunden wöchentlich im Hauptjob und 10 Stunden pro Woche im Nebenjob, verliert sie ein Drittel der Altersabsicherung. Wäre der Nebenjob sozial abgesichert, würden im genannten Beispiel 50 Prozent gewonnen werden. Das ist keine Trivialität und zeigt, dass hier durchaus ein Änderungsbedarf besteht. Insbesondere für Personen, für die es wichtig wäre, leisten Nebenjobs kaum einen Beitrag zur Alterssicherung. Die spezielle Begünstigung von Nebenjobs setzt für Beschäftigte falsche Zeichen. Sinnvoller ist es, Anreize zu geben, im Hauptjob zu arbeiten, dort zum Beispiel die Arbeitszeit auszuweiten und eine Alterssicherung aufzubauen.
Die meisten Mehrfachbeschäftigten arbeiten im Nebenjob geringfügig, was mit großer Sicherheit durch die Steuer- und Sozialabgaben-privilegierung begünstigt wird. Gleichzeitig spricht der Anstieg der Mehrfachbeschäftigung für den Wunsch, mehr als im Hauptjob zu arbeiten. Wie würde sich eine Abschaffung der Privilegierung auswirken? Besteht die Gefahr, dass Beschäftigte die Einnahmen aus der Nebenbeschäftigung ersatzlos verlieren?
Weber: Die Begünstigung der Mini- und Nebenjobs Mitte der 2000er-Jahre wurde erweitert, um irgendwie Bewegung in den schwachen Arbeitsmarkt zu bringen. Inzwischen hat sich die Arbeitswelt grundsätzlich gewandelt. Wir sehen u.a. Engpässe bei Fachkräften . Das wird sich auch nach der Corona-Krise nicht ändern. Das Hauptaugenmerk muss daher sein – auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels –, dass die Beschäftigten eine nachhaltige berufliche Entwicklung durchleben. Das ist allerdings selten durch Nebenjobs möglich. Sie schaffen zwar Erfahrungen und natürlich sollte jeder weiterhin die Möglichkeit haben, einen Neben- oder Minijob aufzunehmen. Allerdings setzt die Subventionierung falsche Zeichen. Stattdessen sollten die Möglichkeiten weiter verbessert werden, mit der Arbeitszeit zu arbeiten, die Beschäftigte sich wünschen. Es wird immer Lebensphasen geben, in denen man mehr oder weniger arbeiten kann oder will. Ein Beispiel ist die Familienphase, in der gerade Frauen häufig weniger Stunden pro Woche arbeiten. Hier ist jedoch nicht ein Minijob die Lösung, sondern die Investition in Kinderbetreuung oder Home-Office . Flexibilität ist ein wichtiger Aspekt. Beschäftigte sollten sich im Arbeitsmarkt integrieren können, wie sie es möchten und wie es zu ihrer Lebenssituation passt. Im Moment geschieht das oftmals über Nebenjobs, was jedoch keinen nachhaltigen Grundstein für die Erwerbsbiografie legt.