Die Familienfreundlichkeit von Unternehmen und passende Angebote zur Kinderbetreuung sind für Alleinerziehende ein Muss, um für sich und die Kinder sorgen zu können. Wir haben mit der Bundesgeschäftsführerin des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter e. V. (VAMV), Miriam Hoheisel, darüber gesprochen, vor welchen Herausforderungen sie beim Thema Vereinbarkeit stehen und was Alleinerziehende finanziell belastet.
Wie gut gelingt Alleinerziehenden die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Miriam Hoheisel: Alleinerziehend zu sein ist an sich schon eine Herausforderung und eine Leistung. Was sich sonst im Alltag Zwei teilen können, stemmen Alleinerziehende alleine: Geld verdienen, Kinder betreuen, Haushalt. Und Alleinerziehende haben eine hohe Erwerbsneigung: 42 Prozent der alleinerziehenden Mütter – und knapp 90 Prozent der 1,5 Millionen Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren sind Mütter – arbeiten laut einer Sonderauswertung des Mikrozensus in Vollzeit. Bei Müttern in Paarfamilien sind das 29 Prozent. Von Alleinerziehenden in Teilzeit würde jede Vierte gerne mehr arbeiten. Und von den Erwerbslosen möchten 55 Prozent arbeiten gehen. Dabei stehen sie vor denselben Problemen, die Frauen allgemein am Arbeitsmarkt haben: Der Gender Pay Gap liegt in Deutschland immer noch bei 19 Prozent. Viele Frauen kommen aus Paarfamilien, in denen sie höchstens Teilzeit gearbeitet haben. Nach der Trennung sitzen Alleinerziehende dann oft in der Teilzeitfalle. Dazu kommt, dass die Betreuungsinfrastruktur noch nicht bedarfsgerecht ist und Familienfreundlichkeit nicht in allen Unternehmen gelebt wird. Das spüren Mütter und Väter gleichermaßen.
Was würde Alleinerziehenden helfen?
Hoheisel: Sie brauchen Arbeitszeiten, die zur Familie passen, aber auch ein Angebot der Einrichtungen zur Kinderbetreuung, die ihrem Bedarf besser entsprechen. Alleinerziehende arbeiten oft in frauentypischen Berufen, die untypische Arbeitszeiten haben. Früh, spät, teilweise über Nacht und am Wochenende bestehen Betreuungslücken. Gleichzeitig sind Alleinerziehende auf Arbeitgeber angewiesen, die auf ihre Bedarfe Rücksicht nehmen. Und das hängt immer noch sehr stark von der jeweiligen Branche und der Unternehmenskultur ab. Hier ist auch die Politik gefragt, durchs Arbeitsrecht Familienfreundlichkeit zu stärken.
Welche speziellen Angebote gibt es für Alleinerziehende, um nicht nur Beruf und Kindern, sondern auch dem Bedürfnis nach Zeit für sich selbst gerecht zu werden?
Hoheisel: Wir wissen, dass Alleinerziehende zeitlich viel stärker belastet sind als Eltern in Paarfamilien. Für die eigene Regeneration bleibt am wenigsten Zeit, was auch ein Risiko für die Gesundheit ist. Eine Antwort ist bedarfsgerechte Kinderbetreuung. Gleichzeitig gibt es auf individueller Ebene Angebote wie die Mutter-Kind-Kuren, um Kraft schöpfen zu können.
„Alleinerziehende befinden sich in einer Zwickmühle zwischen Zeit und Geld.”
Und wir als VAMV bieten neben der Beratung auch einen Rahmen für den Austausch unter Alleinerziehenden. Das ist eine Entlastung, denn da sehen viele, dass es andere gibt, denen es genauso geht. Und auch, dass es nicht ihre Schuld ist, wenn sie ackern und ackern, das Geld am Ende des Monats aber trotzdem nicht reicht. Zudem hilft ein gutes Netzwerk vielen Alleinerziehenden, ein bisschen Zeit für sich selbst rauszuschaufeln. Denn ihr Alltag ist oft eine Zwickmühle zwischen Zeit und Geld. Da würde zum Beispiel eine Familienarbeitszeit, wie sie vor einigen Jahren diskutiert wurde, Alleinerziehende im Alltag sehr unterstützen.
Miriam Hoheisel ist Bundesgeschäftsführerin des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV). Die Sozialpsychologin setzt sich dafür ein, die Grundrechte der Gleichheit und des besonderen Schutzes der Familie sowie das Sozialstaatsprinzip für alleinstehende Mütter und Väter sowie deren Kinder zu verwirklichen und ihre Lebenssituation zu verbessern.
Wie hoch ist das Armutsrisiko für alleinerziehende Mütter und Väter?
Hoheisel: Alleinerziehende haben das höchste Armutsrisiko aller Familienformen. In den vergangenen Jahren ist es stetig gestiegen und liegt aktuell bei 42 Prozent. Bei Paarfamilien beträgt es je nach Kinderzahl zwischen 10 und 25 Prozent. Ein Drittel der Alleinerziehenden im SGB II geht einem Beruf nach. Sie haben ein Einkommen, aber es reicht nicht. Das hohe Armutsrisiko liegt an gesellschaftlichen Barrieren: Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Kinderbetreuung ist nur ein Thema. Die gerechtere Entlohnung von frauentypischen Berufen, Rückkehrmöglichkeiten aus der Teilzeit und familienpolitische Leistungen durch den Staat, die sich bei Alleinerziehenden teils gegenseitig aufheben, müssen wir ebenfalls angehen. Obendrauf kommt noch nicht gezahlter Unterhalt: Nur 25 Prozent der Kinder bekommen den Unterhalt, der ihnen zusteht, 50 Prozent gar keinen. Dann gibt es das Steuerrecht, das verheirateten Müttern in Paarfamilien Anreize setzt, zu Hause zu bleiben oder ihre Berufstätigkeit zu reduzieren. Nach der Trennung müssen sie aber selbst fürs Geld auf dem Konto sorgen.
Wie könnte das Armutsrisiko kleiner werden?
Hoheisel: Statt der genannten Widersprüchlichkeit brauchen wir eine stringente, stärker gleichstellungsorientierte Familienpolitik für den gesamten Lebensverlauf. Diese Politik sollte zum Ziel haben, dass Erwachsene durch ihre Erwerbstätigkeit fürs eigene Auskommen sorgen und gleichzeitig Fürsorge für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige übernehmen können. Und wir sollten mehr aufklären, dass es für Mütter ein Risiko ist, aus dem Beruf auszusteigen. Wer dagegen vollzeitnah gearbeitet hat, kann nach einer Trennung darauf aufbauen.