Die Digitalisierung verändert nicht nur die bestehenden Arbeitsplätze – sie führt auch zu gänzlich neuen Einkommensmöglichkeiten. Die Infrastruktur von digitalen Plattformen bringt neue Geschäftsmodelle hervor und erlaubt neue Formen der Arbeitsorganisation. Digitale Plattformen sind dabei Internetangebote, mittels derer Anbieter und Interessenten auf digitalen Marktplätzen zusammengebracht werden. Über das Internet können Unternehmen beispielsweise sehr arbeitsintensive Projekte, wie beispielsweise das Sortieren von Datenbanken, in kleine Aufgaben aufteilen und auf viele Menschen auslagern: Dies ist der Grundgedanke des Crowdsourcings. Damit werden zwar einerseits neue Verdienstmöglichkeiten geschaffen, die jedoch mitunter andererseits nur geringe Zusatzverdienste für die Plattform-Arbeiterinnen und Arbeiter ermöglichen.
Plattformarbeit , Crowdwork oder Gigwork : Alles Begriffe, die sich nicht leicht fassen lassen. Denn die Bandbreite digitaler Plattformen, die arbeitsnachfragende Unternehmen oder Privatpersonen mit potenziellen Arbeitskräften in Verbindung bringen, ist mittlerweile enorm: Das Spektrum der Dienstleistungen reicht von schnellen Adress-Recherchen und dem Verfassen von Produkt-Rezensionen über Software-Tests bis hin zum Design von aufwändigen Produkt-Logos oder zur Entwicklung verbesserter Produkte. Auch unterscheiden sich die Plattformen in der Frage, ob die Arbeit vor Ort (häufig als „Gigwork“ bezeichnet) oder unabhängig vom Ort über das Internet erfolgt (dann häufig als „Crowdwork“ bezeichnet).
In allen Fällen gilt: Die Bedeutung von Plattformarbeit wächst. Darüber herrscht in der Politik und Forschung Einigkeit. Allerdings sind verlässliche Zahlen zur Verbreitung von Gig- oder Crowdwork kaum zu finden, weil weder die Plattformen noch die von ihnen abgewickelten Aufträge zentral erfasst werden (Pongratz 2019: 193). Dementsprechend gehen die Schätzungen zur Zahl aktiver Plattformarbeiterinnen und -arbeiter in Deutschland recht weit auseinander; sie reichen von 0,27 bis 6,9 Prozent der erwachsenen Bevölkerung (Bonin/Rinne 2017; Serfling 2019). Schätzungen zufolge erwirtschaften zwischen 1 und 1,5 Millionen Deutsche mindestens die Hälfte ihres Einkommens mit Plattformarbeit (Huws/Spencer/Syrdal/Holts 2017; Serfling 2019).
Die Bandbreite der Tätigkeiten, die über die Plattformen organisiert werden, ist dabei sehr vielfältig – sie reicht von kleinteiliger Einfacharbeit (sogenannte Mikrotasks) bis hin zu komplexen Arbeitsaufträgen, die hohe Qualifikationen voraussetzen (sogenannte Makrotasks). Dementsprechend variieren auch die Angaben zu durchschnittlichen Verdiensten: Für einen Teil von Freiberuflerinnen und Freiberuflern bzw. Solo-Selbständigen stellen Aufträge, die sie über Plattformen einwerben, einen durchaus relevanten Teil ihres Gesamteinkommens dar. Dagegen erzielen Auftragnehmerinnen und -nehmer auf den Mikrotask -Plattformen erheblich geringere und nur unregelmäßige Einnahmen. Plattformarbeiterinnen und -arbeiter, die diese Einnahmen als wichtigen Teil ihres Gesamteinkommens beschreiben, sind eher auf den Makrotask -Plattformen vertreten. Übereinstimmend berichten Studien jedoch, dass Plattformarbeit für nahezu alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht die alleinige Einkommensquelle ist.
Plattformarbeiterinnen und -arbeiter unterscheiden sich deutlich von der Gesamtheit der Beschäftigten in Deutschland. Sie sind eher jung, im Durchschnitt 41 Jahre alt (Baethge/Boberach 2019) und haben ein überdurchschnittliches Bildungsniveau. Die Geschlechter verteilen sich ausgeglichen, wobei Frauen seltener auf Mikrotask-Plattformen vertreten sind.
Die über digitale Plattformen vermittelte Arbeit wird häufig für einen schnellen Zusatzverdienst genutzt, ohne dass zwingend spezielle Kenntnisse oder berufsfachliche Qualifikationen notwendig sind. Lediglich auf Plattformen, die auf Freelancer und Solo-Selbständige, wie zum Beispiel freiberufliche Designer, spezialisiert sind, zeigt sich, dass der Stellenwert des Crowdworks über den eines Nebenverdienstes hinausgeht.
Von den Vorteilen wiederum können Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen profitieren: Betriebe können Aufträge flexibel vergeben und so entweder eigenes Personal einsparen oder für andere Tätigkeiten einsetzen. Das gilt zum Beispiel für langwierige Routine-Aufgaben, wie das Überprüfen von Tabellen-Einträgen oder das Zählen von vorrätigen Produkten in Filialen. Für die Plattformarbeiterinnen und -arbeiter – also für Crowd- oder Gigworker – bieten die Einsätze wiederum einen niedrigschwelligen Einstieg in neue Einkommensfelder. Hier kann sich die Studentin ein Zubrot verdienen, der Arbeitslose wieder zu Arbeit finden, die Angestellte ihr Gehalt aufbessern oder der Selbstständige seinen Kundenkreis erweitern. Jede und jeder kann mitmachen. Je nach Aufgabe sogar völlig unabhängig vom Wohnort. Ein Zugang zum Internet reicht.
Andererseits birgt die zunehmende Bedeutung von Crowd- und Gigwork durchaus auch Risiken. Wenn zuvor in Unternehmen erbrachte Tätigkeiten nun auf die Plattformen ausgelagert werden, können hierdurch auch bestehende Formen von Arbeit unter Druck geraten – vor allem abhängige Beschäftigungsverhältnisse. Wozu noch einen eigenen Redakteur einstellen, wenn auch freie Texterinnen und Texter die Aufgabe erledigen können? Wozu noch eine Sekretärin penibel Excel-Tabellen überprüfen lassen, wenn dies mittels Crowdwork erledigt werden kann? Auch für Betriebe stellen sich verschiedene Herausforderungen im Zuge der Plattformarbeit , etwa bei Fragen der Qualitätssicherung und dem Umgang mit Minderleistungen oder in der Arbeit mit vertraulichen Daten. Zudem kann die Suche nach benötigten Fachkräften erschwert werden, wenn potentielle Kandidatinnen und Kandidaten die selbständige digitale Arbeit vorziehen.
Ein weiteres Problem, auf das Teile der Wissenschaft aufmerksam machen, ist das Machtungleichgewicht zwischen den Plattformen und Auftraggeberinnen bzw. Auftraggebern einerseits und den Crowdworkerinnen und -workern andererseits. So ermöglicht die Plattform-Infrastruktur zwar einen direkten Marktzugang für Crowdworkerinnen und Crowdworker, gleichzeitig wird dieser Zugang jedoch durch intransparente Plattform-Mechanismen geregelt oder beschränkt. Die algorithmische Steuerung von Arbeit birgt die Gefahr, dass Gruppen von Arbeitssuchenden auf den Plattformen benachteiligt werden. Dies ist vor allem deshalb eine Herausforderung, weil die meisten Plattformen selbst nicht als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber auftreten, sondern ihre Rolle in der Vermittlung von Arbeit an Selbständige sehen. So zum Beispiel Carsharing-Dienste, die Fahrerinnen und Fahrer als Selbständige definieren und vom Gericht dazu verpflichtet werden, diese künftig als Angestellte zu behandeln, wie jüngst in England geschehen.
Die somit selbstständigen Crowdworkerinnen und -worker haben entsprechend nicht die Arbeits-, Sozial- und Mitbestimmungsrechte, die abhängigen Beschäftigten zuteilwerden. Dies und die damit verbundenen im Durchschnitt eher geringen Verdienste führen zu der Befürchtung, hier könnten sich prekäre digitale Formen von abhängiger Arbeit etablieren. Darüber hinaus ist es eine arbeitsrechtlich zu diskutierende Frage, bei welcher Plattformarbeit es sich tatsächlich um eine selbstständige oder doch abhängige Beschäftigungsform handelt – oder, ob sich hier sogar eine völlig neue Form von Beschäftigung herausbildet. Wenn nämlich über die digitalen Infrastrukturen die Marktzusammenkünfte von Algorithmen gesteuert werden, unterscheiden sich diese „Plattformselbständigkeiten“ von klassischen Formen selbstständiger Arbeit.