Wie lässt sich in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung ein gerechteres Entgeltsystem etablieren? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine neue Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Wir erklären, warum das Entgeltsystem in den Werkstätten reformiert werden soll und welche Handlungsempfehlungen die Autorinnen und Autoren der Studie aussprechen.
Menschen mit Behinderungen, deren Beeinträchtigungen keine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt möglich machen, die aber ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit leisten können, haben Anspruch auf eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (vgl. § 58 SGB IX).
In Deutschland existieren etwa 700 solcher Werkstätten mit insgesamt mehr als 3.000 Standorten. In den Werkstätten arbeiten ca. 70.000 Fachkräfte, die rund 310.000 Beschäftigte mit Behinderungen betreuen und begleiten, wie der Jahresbericht 2022 des zuständigen Dachverbands zeigt (vgl. BAG WfbM 2023).
Bei der Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung handelt es sich allerdings nicht um ein reguläres Arbeitsverhältnis. Die Beschäftigten einer Werkstatt befinden sich in einem arbeitnehmer-ähnlichen Beschäftigungsverhältnis, welches mit besonderen rechtlichen Rahmenbedingungen einhergeht, die unter anderem das Entgelt betreffen (vgl. § 221 SGB IX): Beschäftigte mit Behinderungen sind nicht an den Mindestlohn gebunden, sondern erhalten ein Entgelt , welches sich aus drei Teilen zusammensetzt:
Alle Beschäftigten mit Behinderungen erhalten von den Werkstätten einen leistungsunabhängigen Grundbetrag. Dieser Grundbetrag richtet sich nach der Höhe des Ausbildungsgelds wie es in § 125 SGB III festgelegt ist und beträgt im Jahr 2023 126 Euro pro Monat.
Neben dem Grundbetrag erhalten alle Beschäftigten mit Behinderungen einen individuellen Steigerungsbetrag, der sich nach der individuellen Arbeitsmenge und Arbeitsgüte bemisst (vgl. § 221 SGB IX). Das durchschnittliche Entgelt eines Menschen mit Behinderung in der Werkstatt betrug 2021 monatlich circa 160 Euro ohne Arbeitsförderungsgeld (vgl. BAG WfbM 2023).
Die dritte Komponente des Entgelts ist das sogenannte Arbeitsförderungsgeld, das 52 Euro im Monat beträgt, sofern das gesamte Arbeitsentgelt nicht höher als 351 Euro ist (vgl. § 59 SGB IX).
Da diese Entgelte nicht existenzsichernd sind, benötigen die Werkstattbeschäftigten zusätzliche Sozialleistungen. Demnach erhalten viele Werkstattbeschäftigte entweder Grundsicherung oder, wenn sie bereits mehr als 20 Jahre in einer Werkstatt beschäftigt waren, eine volle Erwerbsminderungsrente.
Dieses System wird rechtlich und gesellschaftlich teils kritisch gesehen, weshalb die Studien-Autoren im Auftrag des BMAS die Bedingungen in den Werkstätten untersucht haben und auf Basis ihrer Erkenntnisse Handlungsempfehlungen aussprechen. Dazu haben sie in einer breit angelegten Befragung mit Werkstattleitungen und -räten, den Beschäftigten mit Behinderungen sowie deren Angehörigen und weiteren relevanten Personen im System der Werkstatt gesprochen (vgl. BMAS 2023). Aus den Ergebnissen der Befragung leiten die Autoren folgende Handlungsempfehlungen ab:
Das Entgelt der Werkstattbeschäftigten sollte so ausgestaltet sein, dass auf weitere Sozialleistungen verzichtet werden kann.
Damit das Entgeltsystem insgesamt transparenter wird, soll überprüft werden, ob sich die Zusammensetzung des Entgelts vereinfachen lässt.
Der individuelle Steigerungsbetrag ist als Einkommensbestandteil sehr volatil. Je nach der wirtschaftlichen Lage der Werkstätten und den Leistungen des Einzelnen steigt und sinkt diese Entgeltkomponente. Im Sinne eines stabilen Einkommens wird daher empfohlen, mit Hilfe eines am Mindestlohn orientierten Lohnkostenzuschusses für stabilere Entgelte zu sorgen.
Um dennoch ein leistungsgerechtes System zu etablieren, lassen sichauf Grundlage eines existenzsichernden Entgeltniveaus weitere Kriterien zur individuellen Leistungsbemessung treffen.
Um Altersarmut zu vermeiden, müssen die Entgelte auf ein Niveau angehoben werden, das die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen ermöglicht.
Da die Werkstattbeschäftigten als voll erwerbsgemindert gelten, haben sie keinen Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Dieser Umstand sollte überprüft werden, damit sie ggf. auch Anspruch auf Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld erhalten.