In Zeiten der Transformation ist die Weiterentwicklung von Kompetenzen zentral. Das ist bei Beschäftigten und Unternehmen angekommen, hat Prof. Dr. Simone Kauffeld beobachtet. Im Interview erklärt die Professorin für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie an der TU Braunschweig, wie Unternehmen und Beschäftigte diese Anforderungen meistern.
Wie gut sind Beschäftigte für veränderte Erwartungen und eine immer komplexere Arbeitswelt gerüstet?
Simone Kauffeld: Das Thema Weiterlernen ist bei den Beschäftigten angekommen. Besonders bei den Jüngeren: In unseren Vorstellungsgesprächen ist die zweite Frage meist, wie sie sich bei uns weiterentwickeln können. Auch andere Organisationen berichten, dass die Jüngeren dies neben einem höheren Ausmaß an Flexibilität einfordern und wissen möchten, welche Kompetenzen sie erwerben können. Aber auch den Älteren ist immer mehr bewusst, dass das, was einmal Inhalt ihrer Ausbildung war, heute nicht mehr ein Berufsleben lang gilt. Um Fachkompetenzen wirksam werden zu lassen, sind überfachliche methodische, soziale und Selbst-Kompetenzen unabdingbar. In unseren Untersuchungen ist vor allem die Selbstkompetenz bedeutsam. Das heißt, dass Beschäftigte sich selbst reflektieren, eigene Ziele setzen, sich einbringen und ihre Arbeit – auch im Team - gestalten. Im Kontext der Digitalisierung geht es unter anderem darum, Prozesse zu digitalisieren, virtuell zu kommunizieren, zu kollaborieren und digitale Inhalte zu erzeugen. Darüber hinaus wird der Umgang mit und die Vermeidung von Stress in vielen Unternehmen zu einem wichtigen Thema.
Welche Voraussetzungen brauchen Beschäftigte zum Aufbau neuer Fähigkeiten?
Kauffeld: Wir befinden uns in einer Zeit der Transformation, die mit Unsicherheiten für Organisationen und Mitarbeitende einhergeht. Um sie zu gestalten, braucht es Veränderungsmotivation für zielgerichtetes Handeln. Wenn man sich den Wandel ansieht, sind wir alle oft ambivalent. Es bedarf der Auseinandersetzung, des Abwägens, um sich klar für eine Veränderung entscheiden zu können und Energie freizusetzen. Viele Unternehmen machen jetzt die Erfahrung, dass es nicht reicht, digitale Lerneinheiten und Freiräume zur Weiterbildung zur Verfügung zu stellen und zu hoffen, dass die Beschäftigten sie nutzen. Stattdessen sollten einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Ausgangsbasis sein: Sie können ihre Lernpfade mit formeller und informeller Weiterbildung selbst gestalten, das Erlernte in die Organisation einbringen und mit Kollegen teilen. Dabei können digitale Tools, die wir entwickelt haben, unterstützen. Wir haben viele Jahre auf die „chronisch verspätete“ Weiterbildung gesetzt, gefolgt von arbeitsintegrierter Kompetenzentwicklung, oft als Lernen nebenbei.
“Impulse von außen sind heute für neue Kompetenzen unabdingbar.”
In der aktuellen Situation ist es aber unabdingbar, sich Impulse außerhalb des Unternehmens – von Hochschulen, Forschungszentren, Netzwerken – heranzuziehen, um neue Kompetenzen zu entwickeln und in das Unternehmen hineinzutragen. In Transformationsprozessen, bei denen ich als Organisation weiß, wo es hingehen soll – zum Beispiel Mitarbeitende aus der Kunstofffertigung in die Batterieproduktion hinein zu entwickeln –, muss ich die Veränderungsmotivation stärken, Mitarbeitende auf ihren Lernpfaden unterstützen und sollte das Onboarding in den neuen Teams nicht vergessen. In ungewissen Transformationen geht es darum, die Mitarbeitenden als Kompetenzträger zu nutzen, die sich zu Themen aus der Organisation mit anderen austauschen. So bauen sie Kompetenzen zu Veränderung, Digitalisierung und agilem Lernen auf und werden zu Veränderungsmacherinnen und -machern. Diese Formen der Kompetenzentwicklung müssen Unternehmen stärker durchdenken. Denn das Thema ist zwar angekommen. Aber auf dem Weg zur Umsetzung sehe ich noch viel Luft nach oben.
Dr. Simone Kauffeld ist Professorin am Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie an der TU Braunschweig. Sie forscht schwerpunktmäßig zu den Themen Kompetenz, Team und Führung, Karriere und Coaching sowie Arbeitsgestaltung und Organisationsentwicklung.
Was motiviert Beschäftigte, neue Skills zu entwickeln? Und welche Effekte hat das?
Kauffeld: Für die Beschäftigten spielt das Motiv Beschäftigungsfähigkeit eine Rolle. Das heißt, sie halten ihr Wissen und Können auf dem aktuellen Stand, um den Erwartungen am Arbeitsmarkt gerecht zu werden. Dann gibt es aber auch ein Wachstumsmotiv: Menschen möchten besser werden und sich entwickeln. Dazu gehört das Lernen. Und zwar oft in dem Sinne, dass ich ein Standbein habe, auf dem ich mein Tagesgeschäft erledige, aber auch ein Spielbein für meine Weiterentwicklung. So kann ich auf bisherigen Kompetenzen aufbauen oder mich in neue Bereiche hineinentwickeln. Genauso müssen die Unternehmen sehen, dass sie ihr Geschäft halten, gleichzeitig aber überlegen, welche Technologien und Geschäftsmodelle sie übermorgen brauchen. Dafür müssen sie ihre Beschäftigten weiterentwickeln und neue Mitarbeiter als Wissensgeber für den Wandel einbinden. Die Investitionen in die Weiterentwicklung lohnen sich. Denn während Unternehmen oft befürchten, dass sich Beschäftigte nach der Weiterentwicklung wegbewerben, ist es meist andersherum: Die Bindung ans Unternehmen steigt, wenn es in Mitarbeitende investiert, damit sie sich weiterbilden und lernen.