New Work – was bedeutet das?
Carsten Schermuly: Das kommt drauf an, mit welcher Perspektive man in das Denken über New Work startet. Wir haben im New-Work-Barometer, was wir jedes Jahr in Deutschland durchführen, vier verschiedene Verständnisse von New Work. Da ist auch das ursprüngliche Verständnis von Frithjof Bergmann dabei, der den Begriff in den 70er-, 80er-Jahren in die Literatur eingeführt hat. Er träumte von einer Sozialutopie und suchte nach einem dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Das Verständnis wird aber kaum noch wertgeschätzt in Deutschland. Stattdessen gibt es beispielsweise ein weit verbreitetes Verständnis, dass New Work Homeoffice sei. Das überrascht mich, denn Homeoffice ist im Grunde eine Methode aus dem Mittelalter. Meine Vorfahren aus dem vorderen Hintertaunus zum Beispiel waren Handwerker, die sind vor 500 Jahren morgens runtergegangen in ihren ‚Shop Floor‘ und haben dort gearbeitet und sind mittags wieder hochgegangen zum Essen. Dass das jetzt New Work sein soll, ja, finde ich besonders.
Wie erklären Sie sich diese vereinfachten Sichtweise?
Schermuly: Dieses banale Verständnis von New Work ist, glaube ich, durch die Pandemie befördert worden. Da gab es auf einmal große Zeitschriften, die Kongresse über das Thema New Work ausgelobt haben, dabei ging es eigentlich nur um hybride Zusammenarbeit, die für viele Unternehmen neu war.
Wie würden Sie New Work selbst definieren?
Schermuly: Wir haben ein Verständnis von New Work, das an das Verständnis von Frithjof Bergmann andockt. Für uns sind New Work Maßnahmen, die das Ziel haben, das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden zu fördern, also das Erleben von Selbstbestimmung, von Einfluss, von Kompetenz und Sinn während der Arbeit. Diese vier Facetten können in allen Branchen und Bereichen und auf allen Hierarchiestufen stimuliert werden. Wenn man so auf New Work blickt, gibt es auch keine Brancheneinschränkungen wie zum Beispiel beim Homeoffice, das sich eher für wissensintensive Büroberufe eignet. Bei unserer Sichtweise auf New Work geht es darum, Menschen aus allen Branchen zu empowern.
Was gilt es grundlegend bei der Einführung von New Work zu beachten?
Schermuly: Wenn wir den Arbeitsplatz verändern und auf die Zukunft ausrichten, werden die Bedingungen verändert und dann muss man die Menschen mitnehmen. Nicht nur motivational mitnehmen, so dass sie das Gefühl haben, sie haben auch was davon, wenn sie sich verändern. Sondern auch so, dass sie in ihren Kompetenzen für die neue Situation geschult werden. Aber auch das soziale System, die Zusammenarbeit und die Organisationskultur muss dann häufig noch entwickelt werden. Wenn Menschen beispielsweise agil zusammenarbeiten sollen, braucht man andere Kompetenzen, aber auch andere Kulturfaktoren als in der traditionellen Zusammenarbeit. Da muss ich jedem Unternehmen empfehlen, ein Budget für Personal- und Organisationsentwicklung mit einzuplanen. Unternehmen muss bewusst sein, dass das zum einen was kostet und zum anderen Zeit in Anspruch nimmt.
Gibt es auch unerwünschte Nebenwirkungen von New Work?
Schermuly: Ja, wiederum abhängig davon, wie ich New Work definiere. Unerwünschte Nebenwirkungen haben fast alle Maßnahmen. Wenn beispielsweise Homeoffice eingeführt wird, kann das dazu führen, dass die soziale Isolation zunimmt und gleichzeitig die Identifikation der Beschäftigten mit ihrem Arbeitgeber abnimmt und sie häufiger den Job wechseln. Wenn man dagegen sagt, für mich bedeutet New Work, dass Hierarchien abgebaut werden, dann muss ich sagen: Das geht häufig mit stärkeren Konflikten einher, weil die Mitarbeitenden auf einmal untereinander mehr Entscheidungen zu treffen haben und sich abstimmen müssen, während die Führungskraft als Befrieder*in des Zusammenlebens in der Organisation weiter weg ist. Wenn ich wiederum moderne Führungsstile einführe, beispielsweise Empowerment-orientierte Führung, dann hat man die Konsequenz, dass Führungskräfte mehr Zeit in Führung investieren müssen.
Wird sich der Trend weiter ausbreiten?
Schermuly: Ja. Ob das unter dem Begriff New Work passiert, weiß ich nicht, aber ich glaube, es gibt mehrere wichtige Zukunftstreiber. Der eine ist der demografische Wandel. Er führt dazu, dass wir es mit immer weniger Menschen im Arbeitsleben zu tun haben. Diese wenigen haben die Möglichkeit, immer höhere Ansprüche zu stellen. Dazu gehört auch der Anspruch daran, wie Arbeit organisiert wird. Das kann das Interesse sein, auf eine spezielle Art geführt zu werden, das kann Interesse am Jobsharing, an Teilzeit oder mobilem Arbeiten sein. Dem werden sich sehr viele Unternehmen nicht entziehen können. Der andere Aspekt ist die VUKA-Welt (Anm. der Red.: VUKA ist ein Akronym, das sich auf Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität/Mehrdeutigkeit bezieht und Merkmale der modernen Welt beschreibt). Die Globalisierung mit der gleichzeitigen Deglobalisierung , dazu ein extremer Wissenszuwachs, gleichzeitig die Digitalisierung, die in allen Bereichen stark voranschreitet: Da braucht es Menschen, die in diesen volatilen Situationen gut zurechtkommen sowie Strukturen, durch die die äußere Komplexität durch eine innere Komplexität im Unternehmen gespiegelt wird. Dafür braucht es Menschen, die psychologisches Empowerment erleben und proaktiv handeln können. Ich glaube, mit den heute teils immer noch existierenden Organisationsstrukturen und dazu passenden Kulturen aus dem 19. Jahrhundert, wo man versucht, allein in klassischen Hierarchien Probleme zu bewältigen und zu kontrollieren – das wird uns nicht in die Zukunft tragen.