In der von Ihnen mitverantworteten Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ machen Sie auf die Entwicklungen im Pflegesektor aufmerksam. Welche Erkenntnis konnten Sie gewinnen?
Evans-Borchers: Unser Kerngedanke war, wie hoch zum einen das Beschäftigtenpotenzial durch Berufsrückkehr und Arbeitszeitaufstockung in der Pflege wäre. Wir haben also ausgestiegene und teilzeitbeschäftigte Pflegekräfte nach ihrer Bereitschaft gefragt, in den Beruf zurückzukehren oder Arbeitsstunden aufzustocken – und zwar unter der Voraussetzung, dass die Arbeitsbedingungen stimmen. Zum anderen wollten wir wissen, welche Präferenzen diese Zielgruppen mit Blick auf ihre Arbeitsbedingungen haben. Im Ergebnis haben wir eine sehr hohe Bereitschaft festgestellt, in den Beruf zurückzukehren oder von einer Teilzeitbeschäftigung in Vollzeitbeschäftigung zu gehen – aber eben unter der Bedingung, dass sich bei der Arbeit etwas verändert.
Was genau war den Befragten wichtig in Bezug auf eine mögliche Rückkehr in den Beruf bzw. Aufstockung ihrer Stunden?
Evans-Borchers: Wir schauen oftmals auf politische Regulierungsthemen wie beispielsweise Personalbemessung. Natürlich spielt das auch in unserer Studie eine Rolle, aber wir haben auch gesehen, dass es Themen gibt, die aus Sicht der Befragten auch sehr relevant sind, die betrieblich gestaltet werden können. Zum Beispiel: Wie kann meine Arbeitszeit verlässlicher organisiert werden? Wie lässt sich eine selbstorganisierte Dienstplangestaltung umsetzen? Wie kann ich auf Augenhöhe mit Ärzten und Ärztinnen sowie weiteren Gesundheitsfachberufen arbeiten? Arbeiten auf Augenhöhe, neue Aufgaben und Tätigkeitsfelder erschließen, selbstorganisierte Arbeitszeitgestaltung in den Blick nehmen, und auch Führungskräften mehr Raum, mehr Gestaltungsspielräume und passgenaue Qualifizierung dafür anbieten – das sind ganz zentrale Themen für den Arbeitsplatz der Zukunft.
Wo würden Sie sich von der Politik noch mehr Unterstützung wünschen?
Evans-Borchers: Zum einen wäre eine verbindliche Regelung bei der Personalbemessung nötig. Nicht nur in der Pflege, sondern auch in der Kindertagesbetreuung. Ein weiteres Thema, das ich für sehr relevant halte, ist die Fachkräftegewinnung. Wir müssen uns klarmachen, dass sie nur gelingen wird, wenn wir Menschen haben, die beruflich pflegen wollen, die in den Kitas arbeiten wollen, die konkret dazu beitragen wollen, Arbeitskräfte zu integrieren, zu qualifizieren, auch Arbeitskräfte aus dem Ausland. Das heißt, wenn wir weiter so machen und nicht substanziell bei den Arbeitsbedingungen in diesen Berufsfeldern nachlegen, werden wir gesamtgesellschaftlich ein Problem bekommen. Eine investive Transformationspolitik ist ohne investive Politik für soziale Dienstleistungsarbeit nicht machbar.
Wir werden uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir die Bezahlung in der Altenpflege auf das Niveau der Bezahlung in den Krankenhäusern bringen können. Dort haben wir nach wie vor erhebliche Verdienstunterschiede, Grundsätzlich müssen wir uns der Frage stellen: Haben wir den Wert der Arbeit in den sozialen Dienstleistungsberufen schon richtig erfasst? Es ist zu vermuten, dass wir eine historisch bedingte und strukturell verfestigte Unterbezahlung insbesondere in solchen Berufe haben, die heute noch überwiegend von Frauen ausgeübt werden. Das können wir so nicht stehen lassen.