Verschiedene Studien haben sich mit der Frage beschäftigt, welche Rahmenbedingungen die Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland begünstigen beziehungsweise hemmen. Die Ergebnisse variieren je nach Zuschnitt und Datengrundlage, jedoch lassen sich zentrale Faktoren identifizieren, die immer wieder genannt werden. Neben aufenthaltsrechtlichen Aspekten und sprachlichen Hürden spielen zunächst die Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine zentrale Rolle.
Arbeits- und Karrieremöglichkeiten: Aufgrund der hohen Zahl offener Stellen auf dem deutschen Arbeitsmarkt erhoffen sich Fachkräfte aus dem Ausland eine hohe Arbeitsplatzsicherheit und gute Karriereperspektiven. Aktuell werden in Deutschland Fachkräfte in unterschiedlichen Berufen und mit unterschiedlichen Qualifikationen gesucht, zum Beispiel Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte, IT-Fachkräfte, Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Handwerksberufe, Ingenieurinnen und Ingenieure, Speditionsberufe sowie Spezialistinnen und Spezialisten für Green Jobs.
Kompetitive Gehälter: Das durchschnittliche Jahresnettogehalt in Deutschland liegt mit rund 35.000 Euro für einen alleinstehenden Vollzeitbeschäftigten deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Vor allem in ausgewählten Branchen wie der Automobil- oder Pharmaindustrie sind die Verdienste hoch. Für rund 41 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland war das Arbeitsverhältnis 2022 außerdem durch einen Branchentarifvertrag geregelt (vgl. IAB-Forum 2023).
Zudem bietet das Abgaben- und Steuersystem Vorteile für Familien, so dass die Zuwanderung für Fachkräfte mit Kindern finanziell besonders attraktiv ist.
Bildungssystem: Das kostenlose öffentliche Bildungssystem mit international anerkannten Hochschulen und Universitäten genießt einen guten Ruf. Die Vielfalt der Bildungswege und die Möglichkeiten der beruflichen und akademischen Aus- und Weiterbildung in allen Phasen des Erwerbslebens (z.B. BaföG, Bildungsurlaub) gelten als besonders attraktiv.
Gesundheits- und Sozialsystem: Die hohe soziale Absicherung durch Arbeitslosenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung etc. gilt als Attraktivitätsmerkmal für die Zuwanderung nach Deutschland. Auch im Vergleich zu anderen Gesundheitssystemen, wie zum Beispiel den USA, kann die Gesundheitsversorgung in Deutschland als großer Pluspunkt angesehen werden. Für berufstätige Eltern bieten kostengünstige oder mitunter sogar kostenlose Angebote der Kindertagesbetreuung sowie Maßnahmen wie das Elterngeld attraktive Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Hohe Innovationskraft: Deutschland verfügt über ein international anerkanntes Forschungs- und Innovationssystem. Nach dem World University Ranking von Times Higher Education gehören neun öffentliche Hochschulen in Deutschland zu den 100 besten der Welt. Darüber hinaus rangiert Deutschland als drittwichtigste Exportnation der Welt. Insbesondere die Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen, Maschinen sowie chemischen und pharmazeutischen Erzeugnissen prägt den Technologie- und Industriestandort, der als weiterer Attraktivitätsfaktor gilt.
Schwierigkeiten bei der Suche nach einer passenden Arbeitsstelle: Sprachbarrieren und der fehlende Zugang zu geeigneten Stellenausschreibungen, Informationsquellen und Beratungsangeboten– insbesondere, wenn die Arbeitssuche aus dem Ausland erfolgt – werden als zentrale Herausforderungen bei der Jobsuche gesehen. Zudem weisen Expertinnen und Experten auf die eingeschränkten Chancen ausländischer Fachkräfte hin, qualifizierte Jobs entsprechend ihren Kompetenzprofilen zu besetzen: Trotz der Verbesserungen durch die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sind Verfahren zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen komplex.
Administrative Hürden: Trotz der Verbesserungen durch die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und der verabschiedeten Maßnahmen zum Bürokratieabbau prägen aufwändige Behördengänge und lange Wartefristen (zum Beispiel Visawartefristen, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Meldepflicht) die Einwanderung und den Alltag in Deutschland. Zudem ist Deutsch derzeit die einzige Amtssprache, so dass bei Behördengängen Sprachbarrieren bestehen können.
Sprachkenntnisse: Für das tägliche Leben und die Erteilung der meisten Aufenthaltserlaubnisse sind in der Regel deutsche Sprachkenntnisse erforderlich. Auch im beruflichen Kontext ist das Beherrschen der deutschen Sprache in einigen Branchen unerlässlich. Das Erlernen der Sprache ist ein langwieriger Lernprozess und ein wichtiger Faktor, wenn es um die Entscheidung geht, nach Deutschland zu kommen.
Steuer- und Abgabenlast: Die Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland durch Einkommensteuern und Sozialabgaben ist im OECD-Vergleich besonders hoch – insbesondere bei niedrigen und mittleren Einkommen. 2022 lag die Abgabequote von Alleinstehenden in Deutschland bei rund 48 Prozent des Bruttoeinkommens. Der OECD-Schnitt für einen Single-Haushalt betrug rund 35 Prozent.
Schleppende Digitalisierung: Eine unzureichende digitale Infrastruktur, insbesondere im ländlichen Raum, bremst die Möglichkeiten des mobilen und digitalen Arbeitens. Trotz der Fortschritte beim Breitbandausbau in den letzten Jahren hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher. Darüber hinaus ist die Verwaltung noch kaum digitalisiert: Im Herbst 2023 waren nur rund 145 von 600 bundesweiten Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert (vgl. IWD 2023).
Inwiefern das Erwerbspotenzial ausländischer Fachkräfte, die einen Zuzug vom EU-Ausland nach Deutschland in Betracht ziehen, ausgeschöpft wird und wie groß die quantitativen Wirkungen der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sein werden, bleibt weiterhin offen und wird Teil von Untersuchungen sein.
OECD (2022): Your Way to Germany. Ergebnisse einer Onlinbefragung unter Fachkräften im Ausland.
OECD (2023a): Talent Attractiveness 2023.
OECD (2023b): Taxing Wages 2023.