Herr Seifert, welche von Kurzarbeit betroffenen Beschäftigtengruppen stehen vor den größten Herausforderungen – und haben damit den höchsten Weiterbildungsbedarf? Und wer hat die Kurzarbeit am stärksten dafür genutzt?
Hartmut Seifert: Mit Blick auf die absehbare Zukunft besteht großer Konsens, dass der ökologische und digitale Wandel eine Reihe von Berufen, Tätigkeiten und Wirtschaftsbereichen verändern wird. Berühmtes Beispiel ist die Umstellung vom Verbrennungs- auf den Elektromotor. Diese brauchen nicht nur weniger Arbeitseinsatz, sondern bei der Produktion von Motoren und Batterien sowie beim Recycling auch andere Qualifikationen. Vom Wandel betroffen ist das verarbeitende Gewerbe, aber auch der Handel, der zunehmend durch Digitalisierung geprägt ist. Wer oder welche Berufe in der Kurzarbeit jetzt an der Weiterbildung teilgenommen hat oder nicht, wäre Gegenstand einer weiteren Untersuchung. Generell lässt sich aber sagen, dass die Beteiligung mit der Betriebsgröße und dem Qualifikationsgrad steigt. Und: Betriebe mit Betriebsrat haben eine deutlich höhere Weiterbildungsbeteiligung als Betriebe ohne.
Dr. Seifert ist selbstständiger Wissenschaftler und Berater. Bis 2009 war er Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und hat dort zu Fragen des Arbeitsmarktes und der Arbeitszeit geforscht. Heute arbeitet er an nationalen und internationalen Forschungsprojekten mit, zuletzt zum Thema Nutzung der durch Kurzarbeit freigewordenen Zeit für berufliche Weiterbildung.
Wie kann die Politik Weiterbildung in Kurzarbeit besser fördern? Hilft das Konzept des Transformationskurzarbeitergelds oder Qualifizierungsgelds, wie es die neue Regierung plant, hierbei?
Seifert: Es gab eine Reihe von finanziellen Fördermöglichkeiten, die nur in bescheidenem Umfang genutzt wurden. Zum Teil wussten die Betriebe von dieser Unterstützung der Weiterbildung durch die öffentliche Hand gar nichts. Hier ist in Zukunft sehr viel mehr Beratung notwendig – für Betriebe und Beschäftigte. Die Idee des Transformationskurzarbeitergelds soll eine Lücke im Förderangebot schließen: Das konjunkturelle Kurzarbeitergeld gilt für vorübergehenden Arbeitsausfall, das Transferkurzarbeitergeld bezieht sich auf einen dauerhaften Ausfall ohne Rückkehr in den Betrieb.
„Zum Teil wussten Betriebe von der öffentlichen Unterstützung der Weiterbildung gar nichts.“
Für diejenigen aber, deren Tätigkeit sich dauerhaft ändert und die mit neuen Qualifikationen im Unternehmen bleiben können, ist das Transformationskurzarbeitergeld gedacht. Damit will man Arbeitslosigkeit vermeiden. Auch dafür wird man intensive Beratung in den Betrieben brauchen. Aufgabe der Politik wird es jetzt sein, im Dialog mit den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sowie mit den Gewerkschaften zu schauen, wie diese Idee zu praktikablen Projekten ausgeformt werden kann. Dabei sollte sie auch begleitende Forschung einsetzen, um Projekte im Experiment zu testen, ehe sie in der Fläche gelten.
Was können die Sozialpartner und Betriebe tun, um Kurzarbeitende zu Weiterbildung zu motivieren?
Seifert: Ziel der Sozialpartner muss das Bewusstsein für den hohen Stellenwert des lebenslangen Lernens bei Betrieben wie Beschäftigten sein. Dazu gehört auch, Beschäftigten Ängste vor Weiterbildung zu nehmen und mit gezielten Maßnahmen möglichst eng an ihre bisherigen Qualifikationen anzuknüpfen. Da wissen die Betriebsräte meist gut Bescheid und können Überzeugungsarbeit leisten. Aber auch die Personalabteilungen und Verbände müssen mithelfen. Um die Beteiligung an Weiterbildung zu erhöhen, testen momentan viele Betriebe das Programm der Weiterbildungsmentorinnen und –mentoren aus. Das Programm wird vom Forschungsministerium gefördert und von Gewerkschaften in kleinen und mittleren Unternehmen umgesetzt. Die Mentorinnen und Mentoren kümmern sich um die Bedarfe, sprechen Personen an und überzeugen sie, an Weiterbildung teilzunehmen. Voraussetzung ist ein Profiling: Welche Kompetenzen haben die Beschäftigten, welche formalen Abschlüsse, sind diese noch aktuell? Und welche Kompetenzen haben Beschäftigte privat entwickelt – beispielsweise digitale oder soziale Fähigkeiten durch Hobby oder Ehrenamt. Die Mentorinnen und Mentoren informieren die Betriebe über die Bedarfe und sorgen dafür, dass sich Betriebsrat und Geschäftsleitung zusammensetzen, Qualifizierungspläne entwickeln und prüfen, welche Fördermittel es dafür gibt. Das Programm ist ein gutes Beispiel, wie Betriebe und Beschäftigte die Herausforderungen der Zukunft in ihrem jeweils ureigensten Interesse meistern können.