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So verändert sich die duale Ausbildung

Fachkräftemangel bis künstliche Intelligenz: Die duale Berufsausbildung steht vor Herausforderungen. Veränderungen an den Ausbildungsberufen sind deshalb nötig. Es zeigen sich bereits einige Trends.

Obwohl grüne Ausbildungsberufe für Jugendliche attraktiver geworden sind, prägen sinkende Bewerberinnen- und Bewerberzahlen und vorzeitige Vertragslösungen den dualen Ausbildungsmarkt. Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen ist im vergangenen Jahr laut aktuellem Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) erneut gestiegen. Sie lag zum Stichtag 30. September 2023 bei rund 73.400 Stellen. Die Besetzungsprobleme der Betriebe und mögliche Erklärungen dafür beleuchtet unsere Data Story zur dualen Ausbildung

Gleichzeitig hält künstliche Intelligenz verstärkt Einzug in die Arbeitswelt und der sozial-ökologische Umbau der Wirtschaft ist in vollem Gange. Der zunehmende Fachkräftemangel begrenzt die personellen Ressourcen. Daraus resultiert ein hoher Transformationsdruck auch für das duale Ausbildungssystem. Was genau gibt es zu tun und welche Maßnahmen wurden bereits ergriffen? Ein Überblick. 

Neuordnungsverfahren

Durch ein Neuordnungsverfahren sollen staatlich anerkannte oder als anerkannt geltende Ausbildungsberufe nach BBiG/HwO modernisiert oder neu geschaffen werden.
Ausbildungsberufe gelten als neu, wenn mit ihrer Ausbildungsordnung kein Vorgängerberuf aufgehoben wird. Ausbildungsberufe gelten als modernisiert, wenn mit deren Ausbildungsordnung ein Vorgängerberuf außer Kraft gesetzt wird.
Initiator*innen von Neuordnungsverfahren sind meistens Fachverbände, Spitzenorganisationen der Arbeitgeber, Gewerkschaften oder das BIBB. Zentrales Ziel von Neuordnungsverfahren ist es, Qualifikationsbedarfe in der Wirtschaft zu decken. 

Trend zur Modernisierung bestehender Ausbildungsberufe

Ein wichtiges Instrument zur Weiterentwicklung und Anpassung von Ausbildungsinhalten an Branchenentwicklungen sind Neuordnungsverfahren. In den Jahren 2013 bis 2023 wurden insgesamt 129 Ausbildungsberufe neu geordnet. 122 der Berufe wurden modernisiert und sieben neu geschaffen.

Zu den neu geschaffenen zählten beispielsweise der Beruf Gestalterin und Gestalter für immersive Medien (2023), der erste Ausbildungsberuf für den Bereich Virtuelle Realität und 3D-Modellierung, sowie der Beruf der Elektronikerin und des Elektronikers für Gebäudesystemintegration (2021). Dieser legt den Fokus auf Handwerk 4.0 sowie die Planung und Konzeption vernetzter Gebäudesystemtechnik. Beide Berufe sind Ausdruck neuer Anforderungen der Digitalisierung bzw. der sozial-ökologischen Transformation.

Betrachtet man das gesamte Ausbildungssystem, zeigt sich jedoch, dass nur selten neue Berufsbilder entstehen. Vielmehr entwickeln sich die Qualifikations- und Kompetenzanforderungen meist innerhalb bestehender Berufsbilder weiter (siehe dazu Arbeitsweltbericht 2023). Es gibt einen Trend zur Modernisierung bestehender Ausbildungsberufe: In den letzten fünf Jahren standen insbesondere die Modernisierung der IT-Berufe (2020), der Berufe des Elektrohandwerks (2021), der Hotel- und Gastronomieberufe (2022) sowie der Umweltberufe (2024) im Fokus. Derzeit wird unter anderem die Neuordnung der Bauberufe vorbereitet.

Eine Übersicht über die Ausbildungsberufe, die in den vergangenen Jahren neugeordnet wurden oder sich in der Neuordnung befinden, bietet das BIBB.  

Die Grafik zeigt, wie viele Ausbildungsberufe jeweils in den Jahren 2013 bis 2023 neu geschaffen oder modernisiert wurden.

Seit 2021 gelten außerdem neue verbindliche Mindestanforderungen für alle anerkannten Ausbildungsberufe. Mit den sogenannten Standardberufsbildpositionen sollen während der Ausbildung berufsübergreifend Kompetenzen in den Bereichen Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Recht und Sicherheit vermittelt werden. Beispielsweise sollen sich Auszubildende künftig verpflichtend mit der Frage auseinandersetzten, welche betriebs- und arbeitsplatzbezogenen Umweltbelastungen in ihrem Beruf auftreten, welche Ressourcen zur Herstellung von Produkten oder zur Erbringung von Dienstleistungen benötigt werden und welche Handlungsoptionen in Betracht kommen, um diese Prozesse nachhaltig zu gestalten. Mit diesen Standards sollen angehende Fachkräfte grundlegende Kompetenzen erwerben, um einerseits in einer sich wandelnden Arbeitswelt beschäftigungsfähig zu bleiben und andererseits den Wandel der Arbeitswelt aktiv gestalten zu können. 

Trend zur Spezialisierung in breit angelegten Ausbildungsberufen

Betrachtet man die Berufe, die in den letzten Jahren neugeordnet wurden, so zeigt sich ein zunehmender Trend zur Ausdifferenzierung bestehender Berufe. Mit anderen Worten: In sich geschlossene Ausbildungsgänge scheinen insgesamt an Bedeutung zu verlieren, während breit angelegte Ausbildungsberufe, die jeweils unterschiedliche Spezialisierungen auf einzelne Aufgabenbereiche oder Tätigkeitsfelder ermöglichen, wichtiger werden. Dies erfolgt in der Regel durch die weiterführende Qualifizierung in Schwerpunkten, Fachrichtungen oder Wahlqualifikationen im Rahmen der regulären Ausbildung.  

Über die reguläre Ausbildung hinaus spielen Zusatzqualifikationen eine zunehmend wichtige Rolle. Diese bieten Auszubildenden sowohl während als auch unmittelbar nach der Ausbildung die Möglichkeit, sich weiterzuqualifizieren durch zusätzliche Maßnahmen, die die Ausbildung fachlich ergänzen und aufwerten sollen. Dazu zählen zum Beispiel Fremdsprachenzertifikate oder Teilleistungen von Aufstiegsfortbildungen. Zentrales Ziel: eine flexible und praxisnahe Weiterqualifikation ermöglichen.  

Die Ausgestaltung der Zusatzqualifikationen variiert stark hinsichtlich Dauer, Inhalt und Anerkennungs- bzw. Zertifizierungsgrad. Auch die Anzahl der Angebote unterscheidet sich je nach Bundesland deutlich. So lag die Gesamtzahl der Zusatzqualifizierungsangebote der Industrie- und Handelskammern (IHK) und Handwerkskammern (HWK) im Jahr 2023 in Baden-Württemberg bei 89, während in Thüringen lediglich eine Zusatzqualifikation angeboten wurde (BIBB-Datenreport 2024). 

Die Grafik zeigt, wie sich die Gesamtzahl der anerkannten Ausbildungsberufe auf Monoberufe, Berufe mit Fachrichtungen, Berufe mit Schwerpunkten, Berufe mit Wahlqualifikationen und Berufe mit Zusatzqualifikationen verteilt. Die Verteilung ist jeweils für die Jahre 2013 bis 2023 dargestellt.

Was kann die Erstausbildung abdecken?

Vor dem Hintergrund einer sich stetig verändernden Arbeitswelt wird diskutiert, inwieweit die etablierten Ordnungsstrukturen des dualen Ausbildungssystems der Dynamik des aktuellen Wandels gerecht werden können. Zum Beispiel, wenn es darum geht, neue Ausbildungsinhalte zu verankern oder auf kurzfristig auftretende Marktbedürfnisse zu reagieren. Noch zentraler ist die Frage, mit welcher Strategie man den neuen Anforderungen an die Berufsbildung begegnen sollte. Wie breit und flexibel sollte die Erstausbildung sein? Wie viel kann Weiterbildung leisten?

Während sich ein Teil der Praxisakteure für eine stärkere Spezialisierung innerhalb breit angelegter Ausbildungsordnungen ausspricht, fordern andere Stimmen eine Konstanz in der Gestaltung der Erstausbildung und im Umfang der abgedeckten Inhalte. Die wichtigsten Argumente für beziehungsweise gegen breit angelegte Ausbildungsordnungen im Überblick

Pro

  • Höhere Attraktivität. Die Möglichkeit, Berufsbildungswege zu personalisieren und die Erstausbildung individuell zu gestalten durch breit angelegte Ausbildungsordnungen, kann die duale Ausbildung für Jugendliche attraktiver machen. 

  • Flexible Anpassung an neue Marktbedürfnisse. Durch breit angelegte Ausbildungsordnungen können transformationsrelevante Inhalte praxisnah und flexibel bereits in der Erstausbildung verankert und damit neue Marktbedürfnisse adressiert werden. Die dynamische Einführung neuer Ausbildungsinhalte ist zentral. 

  • Standardisierung von Weiterbildungsangeboten. Die erfolgreiche Vermittlung transformationsrelevanter Inhalte im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen ist aufgrund der fehlenden Systematisierung und Standardisierung sowie der mangelnden Anerkennung und Transparenz über diese bislang nicht gewährleistet. Breit angelegte Erstausbildungen können das ändern. 

Contra

  • Höhere Komplexität. Je breiter die Erstausbildung angelegt ist und je mehr Inhalte sie abdeckt, desto höher ist die Komplexität und desto schwieriger ist die Vermittlung. Expertinnen und Experten weisen darauf hin, dass das die Abbruchquote unter den Auszubildenden erhöhen könnte. 

  • Mögliche Probleme bei der Anerkennung von Abschlüssen. Eine gewisse Beständigkeit in der Gestaltung der Erstausbildung und im Umfang der abgedeckten Inhalte ist notwendig, um die Anerkennung der Abschlüsse, die Sicherung der Qualität und die Vermittlung in den Arbeitsmarkt sowohl für die Betriebe als auch für die zukünftigen Fachkräfte zu gewährleisten. 

  • Weiterbildung als Chance zur Spezialisierung. Die Spezialisierung auf bestimmte Tätigkeiten kann durch Fort- und Weiterbildungen im Anschluss an die berufliche Erstausbildung erfolgen, beispielsweise in der höheren Berufsbildung. Dazu ist jedoch eine stärkere Verzahnung des Aus- und Weiterbildungssystems notwendig. 

  • Fehlende Infrastruktur. Eine zu große Anzahl von Ausbildungsgängen und -inhalten erschwert es Berufsschulen, die Berufsschulklassen zu planen und zu organisieren. Zudem kann eine zunehmende Spezialisierung durch immer umfangreichere Ausbildungsordnungen aufgrund fehlender Angebote nicht überregional gewährleistet werden.