Die Corona-Pandemie wirkt sich auch auf den Ausbildungsmarkt aus. Viele Branchen, insbesondere die, die stark von der Krise betroffen sind, stellen weniger Auszubildende ein. Und auch der aktuelle Ausbildungsbetrieb muss angepasst werden: Weniger persönliche Kontakte, mehr digitale Formate. Was das für die Auszubildenden und die Betriebe bedeutet erfahren Sie im Interview mit Dr. Ute Leber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Die Pandemie trifft verschiedene Branchen und auch verschiedene Zielgruppen an Auszubildenden unterschiedlich schwer. Für wen hat sich die Ausbildungssituation besonders verschlechtert?
Ute Leber: In der aktuellen Krise sind zwei Entwicklungen am Ausbildungsmarkt zu beobachten: Zum einen sinkt bereits im zweiten Jahr in Folge die Zahl der von den Betrieben angebotenen Ausbildungsplätze. Zum anderen sehen wir deutliche Rückgänge bei den Bewerber/-innen um eine Lehrstelle. Gleichzeitig nehmen die sogenannten Passungsprobleme am Ausbildungsmarkt zu. Einer steigenden Anzahl an unbesetzten Ausbildungsplätzen steht eine wachsende Zahl an Jugendlichen gegenüber, die keine Lehrstelle finden.
Vor allem Betriebe in den besonders krisengeschüttelten Branchen wie Hotellerie und Gastronomie fahren aktuell ihr Ausbildungsplatzangebot zurück. Ausschlaggebend hierfür sind die unsicheren Geschäftserwartungen und finanzielle Engpässe, aber auch Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Auszubildenden.
Die Zahl der Bewerber/-innen um eine Lehrstelle geht aktuell aber auch deswegen zurück, weil viele Angebote der Berufsorientierung in und außerhalb der Schulen ausfallen und Praktika abgesagt werden. Derartige Orientierungsangebote außerhalb des privaten Umfelds spielen gerade für leistungsschwächere Schulabgänger/-innen sowie für Jugendliche mit Migrationshintergrund eine wichtige Rolle. Diese Gruppen sind daher besonders betroffen. Junge Erwachsene mit einem niedrigen Schulabschluss tun sich derzeit aber noch aus anderen Gründen schwer am Ausbildungsmarkt. Sie haben im Vergleich zu Jugendlichen mit einer (Fach-)Hochschulreife weniger Optionen, alternative Ausbildungswege einzuschlagen und beispielsweise ein Studium aufzunehmen. Weiterhin betrifft die Covid-19-Krise verstärkt Ausbildungsplätze in Branchen wie dem Gast- oder Friseurgewerbe, die vorrangig von Personen mit Hauptschulabschluss ergriffen werden. Das ist besonders problematisch, da ein schwieriger Übergang in den Arbeitsmarkt die weiteren Erwerbsbiografien nachhaltig beeinträchtigen kann.
Ute Leber ist seit 1999 Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Lehrbeauftragte an der Universität Erlangen-Nürnberg und der Hochschule Ansbach. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich betriebliche Aus- und Weiterbildung und ältere Beschäftigte.
Mit Blick auf die Betriebe: Wie gut ist die Umstellung auf digital gelungen?
Leber: Die Covid-19-Krise beeinträchtigt die Durchführung der Ausbildung auf vielfache Weise. Sind Ausbilder/-innen und Auszubildende im Homeoffice, können die Lehrlinge nicht im üblichen Umfang tätig sein oder betreut werden. Das Gleiche gilt, wenn die Beschäftigten in Kurzarbeit sind oder der Betrieb zum Beispiel aufgrund von behördlichen Anordnungen schließen muss. Können die Lehrlinge nicht alle Stationen ihrer Ausbildung durchlaufen oder sich weniger intensiv mit ihren Ausbilder/-innen austauschen, kann dies den Erwerb ihrer Kompetenzen und ihre späteren Einsatzmöglichkeiten im Betrieb beeinträchtigen.
Zu Beginn der Krise taten sich viele Betriebe und Lehrlinge mit der Ausbildung unter den veränderten Bedingungen noch relativ schwer, aber mittlerweile haben sich die Möglichkeiten des Lernens auf Distanz verbessert. Von der Weiterbildung wissen wir, dass viele Betriebe während der Krise E-Learning erstmals neu eingeführt oder die entsprechenden Angebote hierzu ausgebaut haben. Es ist anzunehmen, dass Ähnliches auch für die Ausbildung gilt. Dabei zeigen vorliegende Studien, dass sich in der Krise jene Betriebe mit der Qualifizierung ihrer Beschäftigten leichter tun, die bereits vorher auf alternative (virtuelle) Lernformen gesetzt haben. Grundsätzlich ist anzunehmen, dass sich die Möglichkeiten der Digitalisierung der Berufsausbildung in einzelnen Bereichen unterschiedlich gut darstellen. So dürfte das „Distanzlernen“ beispielsweise in kaufmännischen Ausbildungsberufen einfacher durchzuführen sein als in handwerklichen Berufen.
Eine Umstellung auf digitale Formate ist nicht nur beim Lernen im Betrieb, sondern auch bei der Berufsberatung und -orientierung festzustellen. So hat die Bundesagentur für Arbeit mit dem Programm „Ausbildung klarmachen“ ein digitales Orientierungsangebot geschaffen, das beispielsweise die Möglichkeit zur Vereinbarung von Telefon- oder Videoberatungsgesprächen oder zur Teilnahme an Online-Berufserkundungs-Tools bietet.
Zukunftsausblick: Welche Effekte der Pandemie werden im Ausbildungsverhalten der Betriebe auch längerfristig nachhallen?
Leber: Die Ausbildung stellt für die Betriebe ein wichtiges Instrument der Fachkräftesicherung dar. Ziehen sich Betriebe in der gegenwärtigen Situation aus der Ausbildung zurück, werden ihnen in der Zukunft Fachkräfte fehlen. Bereits heute sind in vielen Segmenten der Wirtschaft Fachkräfteengpässe zu beobachten, die sich in Zukunft möglicherweise verschärfen können. Insofern ist es wichtig, das Ausbildungsengagement der Betriebe in der Krise zu unterstützen. Mit dem Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ steht ein Instrument zur Verfügung, das besonders stark durch die Krise betroffenen kleinen und mittleren Unternehmen finanzielle Anreize zur Aufrechterhaltung oder gar Erhöhung des Ausbildungsplatzangebots bietet.
Zentral erscheint es zudem, den Stellenbesetzungsproblemen im Bereich der Ausbildung zu begegnen, die während der Krise weiter zugenommen haben. Bereits heute versuchen viele Unternehmen, die Attraktivität der von ihnen angebotenen Ausbildungsplätze beispielsweise durch das Angebot an Leistungen zusätzlich zur Lehrlingsvergütung zu erhöhen. Angesichts der jüngst wieder angestiegenen Zahl an unversorgten Ausbildungsplatzbewerber/-innen sollte es verstärkt aber auch darum gehen, gerade den leistungsschwächeren Jugendlichen eine Chance zu bieten.
Ein weiterer möglicher Effekt der Pandemie hat schließlich mit der Umstellung auf digitale Formen des Lernens, der Vernetzung und Zusammenarbeit zu tun. Oftmals wird argumentiert, dass die Krise einen Digitalisierungsschub auslöse, von dem sowohl die Unternehmen wie auch die Beschäftigten profitieren können. Erfahrenere Mitarbeiter/-innen können genauso wie Auszubildende digitale Kompetenzen erwerben, die sie auch in der Zukunft einsetzen und ausbauen können.