Seit dem 1. Januar gibt es für alle Altersrenten in der Gesetzlichen Rentenversicherung keine Hinzuverdienstgrenzen mehr. Das bedeutet: Alle Menschen, die aufgrund ihres Alters in Rente sind, können unbegrenzt hinzuverdienen. Das gilt auch dann, wenn sie ihren Ruhestand vorgezogen haben. Der Kreis der davon Betroffenen ist groß, denn die Mehrheit der jährlich neu hinzukommenden Rentnerinnen und Rentner bezieht eine Frührente. Von den im Jahr 2021 rund 855.000 Altersrentenzugängen waren 20,6 Prozent langjährig Versicherte, 31,3 Prozent besonders langjährig Versicherte und 6,2 Prozent Schwerbehinderte (Sozialpolitik-aktuell.de 2023). Sie alle haben ihre Rente vor der Regelaltersgrenze bezogen.
Für sie gilt jetzt, dass der Hinzuverdienst oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze besteuert wird und Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner und zur Pflegeversicherung anfallen, aber dies auf die gezahlte Rente keinen Einfluss mehr hat (alle Infos im Detail siehe Deutsche Rentenversicherung Bund 2023). Das war vorher anders (vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund 2022).
Die Regelung soll dazu führen, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer länger erwerbstätig sind, indem der Übergang in die Altersrente flexibler wird. Länger zu arbeiten ist allerdings nicht für alle Menschen möglich. Denn in der Tendenz nimmt die Gesundheit mit dem Alter ab, besonders belastende Berufe können häufig nicht mehr ausgeübt werden. Zudem ist möglich, dass Kenntnisse und Fähigkeiten veralten und gar nicht mehr nachgefragt werden, sodass insbesondere ältere Arbeitslose geringe Chancen haben, einen neuen Job zu finden. Auch die Nachfrage nach informeller Pflege steigt kontinuierlich. Das ist insbesondere für ältere Beschäftigte, die zum Beispiel einen Angehörigen versorgen, belastend. Auch deshalb ist davon auszugehen, dass ein Teil der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gar nicht länger arbeiten kann (vgl. Bertelsmann Stiftung 2019).
Wie ist die Neuregelung also insgesamt zu bewerten? Eine Übersicht finden Sie in unserer Pro-/Contra-Liste.
Das Arbeitsangebot steigt, weil Personen, die über einen vorzeitigen Rentenbezug nachdenken, einen Anreiz erhalten, den Ausstieg aus dem Erwerbsleben zu verzögern.
Für Menschen, die bereits vorzeitig Rente beziehen, steigt der Anreiz, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Dadurch erhöht sich die Flexibilität im Übergang von Erwerbsleben und Ruhestand. Die lukrative Kombination, weiter zu arbeiten und gleichzeitig Rente zu beziehen, könnte das Arbeitsangebot stabilisieren oder sogar erhöhen.
Besonders für Fachkräfte könnte ein Anreiz entstehen, länger – wenn auch geringfügig oder in Teilzeit – im Job zu bleiben.
Die Funktion der Gesetzlichen Rente ändert sich: Sie ist eine Ergänzung – und nicht ein Ersatz – des Lohneinkommens. Die strikte Trennung von zwei Lebenswelten durch das gesetzliche Renteneintrittsalter – Arbeit und Ruhestand – wird aufgegeben.
Das Arbeitsangebot sinkt, weil die vorzeitige Rentenzahlung die Minderung beim Arbeitseinkommen ausgleicht.
Es entsteht ein Anreiz, die Rente frühzeitig zu beantragen und dabei Abschläge hinzunehmen, die dann lebenslang auf die Rente angelegt werden.
Mittelfristig sind erhebliche Mehrausgaben der Deutschen Rentenversicherung zu erwarten.
Die Regelung begünstigt nur diejenigen, die gesundheitlich und qualifikatorisch dazu in der Lage sind, weiterzuarbeiten. Alle anderen profitieren von der Neuregelung nicht.
Auch bei den vergleichsweise fitten Älteren kommt es zu Problemen, wenn die gesundheitliche und berufliche Leistungsfähigkeit mit steigendem Alter sinkt oder wenn es keine entsprechenden Arbeitsplätze gibt.
Dann müssen die Betroffenen ihren Lebensunterhalt allein mit der Rente bestreiten, die aber aufgrund der Abschläge geringer ausfällt. Ein Ausgleich ist möglich, wenn die Erwerbstätigkeit parallel zum vorzeitigen Rentenbezug so umfangreich ist, dass die davon gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung die Abschläge ausgleichen.
Die Funktion der Gesetzlichen Rente ändert sich: Sie ist eine Ergänzung – und nicht ein Ersatz – des Lohneinkommens. Bei der Gesetzlichen Rente handelt es sich jedoch nicht um eine privatwirtschaftliche Versicherungsleistung, sondern ein soziales Sicherungssystem, das durch ein Leistungsziel (Lebensstandardsicherung) gekennzeichnet ist. Diese Funktion verliert an Bedeutung.
Quellen: Bäcker, G./Schmitz-Kießler, J. (2022): Süßes Gift. Abschaffung der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten 2023 und Stettes, O. (2023): Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen
Seit dem 1. Januar 2023 gilt: Das komplette Erwerbseinkommen, das neben einer Rente verdient wird, bleibt anrechnungsfrei – auch bei vorgezogenen Renten. Das gilt auch dann, wenn dieselbe Beschäftigung beim selben Arbeitgeber ausgeübt wird. Außerdem können noch weitere Entgeltpunkte erworben werden.
Sinnvoll ist das im Moment vor allem für diejenigen, die ohne Abschläge schon vor der Regelaltersgrenze in Rente gehen können, und das sind:
Die Neuregelung kann aber auch für diejenigen interessant sein, die schon vor der Regelaltersgrenze, aber mit Abschlägen in die Rente übergehen können. Das ist vor allem die Gruppe der „langjährig Versicherten“ mit 35 Versicherungsjahren: Sie können ab 63 in Rente gehen kann, müssen aber pro vorgezogenem Monat einen Abschlag von 0,3 Prozent Rentenkürzung hinnehmen, der lebenslang auf ihre Rente angelegt wird. Hochgerechnet wird dabei immer auf die Regelaltersgrenze, sodass sich daraus erhebliche Rentenkürzungen von bis zu 14,4 Prozent ergeben können. Die Abschläge werden lebenslang von der Rente abgezogen. Betroffene sollte also durchrechnen, was der vorzeitige Rentenzugang bedeutet und ob es wirklich sinnvoll ist, die Rente schon zu beantragen, oder ohne Rentenbezug weiterzuarbeiten. Dabei ist auch zu bedenken, dass alle Alterseinkommen versteuert werden müssen (siehe Beznoska et al. 2023).