Moderatorin: Ja, herzlich willkommen zur dritten Folge des Podcasts Mit.Arbeit. Mein Name ist Berit Schmiedendorf und wie immer diskutieren wir hier über ein spannendes Thema aus der Arbeitswelt. In der heutigen Folge geht es um einen Begriff, dessen Bedeutung sich nicht sofort erschließt, obwohl es bei Google rund 3 Millionen Treffer dazu gibt: Nachhaltige Arbeit. Was das genau ist und warum es sogar erstrebenswert sein könnte, alle Jobs in nachhaltige Arbeitsverhältnisse umzuwandeln, das diskutiere ich heute mit der Soziologin und Professorin Sabine Pfeiffer – hallo!
Sabine Pfeiffer: Hallo! Schön, dass ich da sein kann.
Moderatorin: Und außerdem begrüße ich Thymian Bussemer, der sich tagtäglich mit Arbeitsverhältnissen beschäftigt, denn er verantwortet beim Volkswagenkonzern die Personalstrategie. Hallo Herr Bussemer!
Thymian Bussemer: Schönen guten Tag!
Moderatorin: Was ist denn nun nachhaltige Arbeit eigentlich genau? Der Arbeitswelt-Bericht 2023, an dem Sie, Frau Pfeiffer, ja mitgewirkt haben, definiert nachhaltige Arbeit folgendermaßen: Nachhaltige Arbeit ist demnach menschengerecht, sozial, ökologisch und effektiv. Frau Pfeiffer, welcher Job fällt Ihnen spontan ein, der all diese Kriterien erfüllt?
Sabine Pfeiffer: Ja, erst mal würde ich sagen, da sind ja noch ein paar andere Begriffe drunter. Zum Beispiel neben effektiv steht auch innovationsfähig. Und das ist vielleicht vor allem die Idee dahinter: Also zu sagen, wir brauchen erstens, um Transformationen auf den Weg zu bringen, eigentlich Menschen, die solche Arbeitsverhältnisse haben. Wenn ich extrem prekäre, schlecht qualifizierte Arbeitsverhältnisse habe, in denen ich mich auch als Mensch und mit meinen Möglichkeiten nicht entfalten kann, dann werde ich wenig Beitrag zu einer Transformation in meinem Unternehmen leisten können.
Das heißt, eigentlich ist es einerseits Voraussetzung für Innovation und Transformation, andererseits haben wir auch gesagt: Eigentlich muss ein bisschen Transformation so aussehen, dass hinten auch wieder nachhaltige Arbeit rauskommt. Wenn Sie fragen, welche Berufe, kann man sagen: Es gibt viele Berufe, wo das Ökologische schon mit angelegt ist. Logischerweise Facharbeit , die damit beschäftigt ist, Solartechnik in die Breite zu bringen, zum Beispiel, da ist der Zusammenhang ganz eindeutig. Oder Beschäftigte, die sich in der Automobilindustrie mit dem Umstieg auf Elektromobilität auf unterschiedlichsten Ebenen und mit unterschiedlichsten Aufgaben beschäftigen. Da ist der Zusammenhang auch eindeutig. Das sind ja auch oft genau die Bereiche, wo wir gute Qualifikationen auch vorher schon haben und auch gute Arbeitsverhältnisse. Es gibt aber natürlich immer noch ganz, ganz viele, auch in diesen Branchen Beschäftigte, die direkt von der ökologischen Seite gar nicht betroffen sind - Gott sei Dank und hoffentlich -, aber die anderen Facetten von nachhaltiger Arbeit erleben und erleben dürfen.
Moderatorin: Jetzt ist ja ein Pilot zum Beispiel super qualifiziert, aber solange der mit Kerosin durch die Weltgeschichte fliegt, kann man ja nicht sagen, das ist ein nachhaltiger Arbeitsplatz, oder?
Sabine Pfeiffer: Na ja, jetzt würde man sagen, also A: Natürlich sind in einer Wirtschaft, die an vielen Stellen nicht Ökologie als erste Prämisse hat, in dem, was wirtschaftlich getan wird - das ist natürlich oft so, logischerweise können Beschäftigte sich dann nicht immer aussuchen, wie ökologisch ihr Aufgabengebiet ist. Andererseits kann man natürlich sicher auch im Pilotenberuf sagen: Ja, es gibt, da wird natürlich vieles von der Technik gesteuert, aber die ganze Frage, wie nachhaltig fliege ich denn unter den Bedingungen und das Fliegen an sich ist natürlich ökologisch nicht so sinnvoll. Trotzdem gibt es Bedarf zu fliegen und das werden wir auch so schnell nicht abschaffen. Insofern gibt es natürlich auch in jedem Beruf, der vordergründig jetzt gar nicht so grün aussieht, trotzdem im Doing, im Arbeitsalltag immer auch Entscheidungen für ein bisschen mehr Ökologie, Energie-, Ressourceneffizienz und Ähnliches. Insofern findet es da auch statt. Man muss es vielleicht ein bisschen mehr suchen.
Moderatorin: Herr Bussemer, wie viele von den knapp 300.000 VW-Mitarbeitern haben denn bei Ihnen bereits einen nachhaltigen Arbeitsplatz?
Thymian Bussemer: Also erstens frage ich mich: Wie kommen Sie auf die 300.000, wenn Sie im VW-Konzern meinen, sind es 690.000, wenn Sie die VW AG meinen, sind es 115.000. Und diese Frage beantworten kann ich nicht. Viel von der Definitorik ist ja gerade schon gesagt worden, ich hätte gesagt, es gibt doch im Wesentlichen zwei Komponenten: Das eine ist ein sozusagen nachhaltiger Umgang mit der Ressource Mensch auf der Arbeit. Das betrifft einfach Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, der Prävention, der Qualifizierung - da sind wir weit. Aber natürlich gibt es auch eine Dimension, die, wo sich sozusagen das Produkt und die nachhaltige Arbeit miteinander verweben, wo auch im Sinne von, ich sage mal individuellen Sinnansprüchen der Leute auf das, was hergestellt wird, eine Nachhaltigkeit haben muss, dass die Leute das Gefühl haben, ihre Arbeit ist nachhaltig.
Das kann ja auch Rückwirkungen haben auf Psychological Safety, auf psychologische Ausgeglichenheit. Wenn ich die Frage also so rum deute, welche Arbeitsplätze bei Volkswagen sind nachhaltig im Sinne eines vorsichtigen Umgangs mit Menschen, dann würde ich sagen: möglichst alle, dabei aber immer im Auge behaltend, Arbeit ist eben eine Sache, die uns vernutzt. Es gibt Arbeitsfreude und es gibt Arbeitsleid.
Natürlich ist Arbeiten anstrengend, führt zu Verschleißerscheinungen. Das ist sozusagen eingepreist. Das kann man ja dann nur abmildern. Ob jetzt das Produkt Auto ein nachhaltiges ist, das kann, glaube ich, sehr unterschiedlich interpretiert werden. Man kann sagen: Individuelle Mobilität ist nach wie vor ein großer Traum von vielen, vielen Leuten, ermöglicht ganz viele gesellschaftliche Bereiche überhaupt erst im Funktionieren. Und man kann natürlich sagen, es ist ein umweltschädigendes Produkt, das Rohstoffe verbraucht und CO2 ausstößt.
Moderatorin: Können Sie uns denn sagen, wie viele Mitarbeiter bereits an E-Autos arbeiten und wie viele noch an Verbrennern arbeiten bei VW?
Thymian Bussemer: Kann ich Ihnen auch aktuell nicht fest sagen. Wir nennen den Vorgang ja Umklappen der Werke, dass wir also ehemalige Fahrzeugwerke für Verbrennerfahrzeuge eben umstellen auf Fahrzeuge für batterieelektrische Autos. Das sind in Deutschland drei Werke mittlerweile, die wir umgeklappt haben. Natürlich hat das auch Rückwirkungen in den Komponentenwerken. Ich würde mal, das ist eine grobe Schätzung, sagen, dass 10 bis 15 Prozent unserer Beschäftigten im Moment in der direkten Kette Herstellung E-Fahrzeuge sind.
Moderatorin: Bei der Definition Was ist eigentlich nachhaltige Arbeit? wird das Thema Lohn komplett ausgeklammert, Frau Pfeiffer. Warum wird nicht definiert, dass man von nachhaltiger Arbeit auch eigentlich gut leben können muss?
Sabine Pfeiffer: Na ja, eigentlich gehört es schon dazu, weil menschengerecht bedeutet natürlich nicht nur, dass die Tätigkeiten menschengerecht sind, sondern dass die Arbeit auch vom Gehalt her ermöglicht, ein gutes Leben, ein gesellschaftlich adäquates Leben führen zu können, und zwar bis ins Alter hinein. Das schließt eigentlich auch natürlich Vorsorge für Alter, Krankheit und so weiter ein. Jetzt könnte man sagen, das sollte eigentlich so selbstverständlich sein, dass man darüber nicht mehr reden muss. Wir sehen aber ja in den letzten Jahrzehnten, dass man doch drüber reden muss. Jetzt natürlich nicht in der Automobilindustrie; ist aber ja auch kein Zufall. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass dort sozusagen Kapital und Arbeit in einem doch sehr produktiven Dialog sind, möchte ich mal sagen, und da einfach Mitbestimmung eine große Rolle spielt, ein großer gewerkschaftlicher Organisationsgrad ist und natürlich gibt es da auch dann Zusammenhänge mit der Lohnentwicklung. Und es hat natürlich damit zu tun, dass es eine sehr produktive Branche ist und dass die Lohnhöhe das natürlich auch ein bisschen widerspiegelt, welche Produktivitätsfortschritte passieren. Also beides spielt eine Rolle. Was passiert wirtschaftlich tatsächlich in einer Branche, aber auch, welche Möglichkeiten haben Beschäftigte, ihre Interessen auch tarifpolitisch durchzusetzen?
Da ist natürlich die Automobilindustrie und viele andere Sektoren, die jetzt gerade auch für die Transformation wichtig sind, da zählt auch der Maschinenbau dazu, auch das Handwerk in vielen Bereichen, das darf man jetzt nicht immer über einen Kamm scheren, das ist ja sehr heterogen. Das gilt ja für viele Bereiche. Aber wir haben natürlich auch - und mehr als früher - wieder Bereiche, wo das überhaupt nicht mehr selbstverständlich ist und da deswegen - ja, wir haben es nicht mit reingeschrieben als Extrapunkt, weil es natürlich trotzdem eine in erster Linie eine Frage der Sozialpartnerschaft ist und nicht in erster Linie eine Aufgabe des Ministeriums, an den sich ja der Bericht auch gerichtet hat.
Moderatorin: Im Arbeitswelt-Bericht schreiben Sie unter anderem ja auch, Frau Pfeiffer, dass es gilt, nachhaltige Arbeit in allen Branchen und Berufen zu schaffen. Warum?
Sabine Pfeiffer: Na ja, das eine ist jetzt, kann man jetzt sagen, einfach aus einer ethischen Perspektive gibt es überhaupt keinen Grund zu sagen: Warum sollen die Menschen, die in der Automobilindustrie gelandet sind, davon profitieren alleine und warum nicht die anderen? Es gibt aber auch ein gesellschaftliches und auch ein wirtschaftspolitisches Argument sozusagen, weil Arbeitsmärkte natürlich gerade in transformativen Zeiten zunehmend nicht mehr nur ganz eng sektorial funktionieren. Oder zumindest gehen wir davon aus. Empirisch sieht man das noch gar nicht so stark tatsächlich. Aber man sollte natürlich davon ausgehen, dass, wenn sich viel verändert in der Wirtschaft, weil wir viele Bereiche grundsätzlich anders organisieren und Produkte anders denken und so weiter, auch Innovationsprozesse anders denken, dass da auch zwischen Sektoren mehr hin und her geht. Und das funktioniert natürlich umso besser, je mehr ich in der gesamten Arbeitsmarktstruktur einen gewissen Qualifikationsgrad habe und Menschen sozusagen vielleicht mit leichten Anlernprozessen in eine ganz andere Branche hineinqualifizieren kann, weil sie einfach mit einem ganz breiten ganzheitlichen Qualifikationsprofil da schon ankommen.
Wenn ich natürlich aber Sektoren habe, die, was das angeht, sehr sehr unterschiedlich sind und ich brauche auf einmal in bestimmten Bereichen qualifiziertere Leute, weil ich innovative, transformative Prozesse zu bewegen habe und dafür mehr Personal brauche und habe dann aber um mich rum lauter Sektoren, wo Menschen in prekären, schlecht qualifizierten Arbeitsverhältnissen sind und sagt: Okay, die muss ich jetzt eigentlich erst mal zwei Jahre qualifizieren, damit sie bei mir überhaupt mitspielen können, sozusagen, dann schwächt es natürlich letztlich die Innovationsfähigkeit der ganzen Wirtschaft.
Insofern ist es sozusagen ethisch sowieso geboten. Man sollte natürlich sagen: Gleiche Chancen in einer Demokratie sollten auch am Arbeitsmarkt nicht aufhören und sich nicht an Sektorengrenzen sozusagen festmachen. Aber es ist auch gerade in innovativen Zeiten, wo man sagt: Wir wollen auch nach Transformationsprozessen insgesamt als Volkswirtschaft auch weiterhin innovationsfähig bleiben. Das hört ja dann nicht auf. Ist ja nicht so, dass wir jetzt einmal einen Transformationsprozess zu wuppen haben und dann nehmen wir uns die nächsten 50 Jahre zurück und dann bleibt alles, wie es ist und jeder verkrümelt sich in seinen Sektor. Es ist auch aus der Perspektive, glaube ich, eine sehr gute Idee, zu sagen: Das hat uns bislang als Volkswirtschaft ganz weit getragen, dass wir auch im mittleren Qualifikationsfeld sehr gut aufgestellt sind. Und das sollten wir uns bewahren, weil es tatsächlich eine Ressource ist für Veränderung.
Moderatorin: Jetzt ist ja VW ein Konzern, der von der doppelten Transformation, also der ökologischen und der digitalen Transformation, besonders tangiert ist. Wie wichtig ist denn Weiterbildung bei VW, Herr Bussemer?
Thymian Bussemer: Ganz ungemein wichtig. Also das ist aber ein Stück weit ja normal. Also jeder neue Produktanlauf bei uns erfordert eben Schulungen, Qualifizierungen. Wir haben uns immer verstanden als lernende und lehrende Organisation, wo wir in Berufsfamilien Fachwissen weitergegeben haben, wo wir versucht haben, auch bestimmte Expertise, die uns altersbedingt verlassen hat, dann in gewissen Stafetten zu erhalten. Natürlich hat das jetzt zugenommen in diesen Umbruchsjahren, das ist, das ist keine Frage. Ich habe aber manchmal auch das Gefühl, dass diese sogenannte Workforce Transformation uns gar nicht in der Intensität trifft, wie ich selber das noch vor drei oder vier Jahren vorausgesagt hätte. Es ist ein viel ruhigerer, unsichtbarer Prozess, wo ich auch nicht sehe, dass es - zumindest jetzt bei uns - innerhalb der Belegschaften zu großen Verwerfungen kommt. Also ich bin eigentlich erstaunt, wie leise und unauffällig doch der mit dem Technologiewandel verbundene Kompetenzwandel vorangeht.
Moderatorin: Wie viel Prozent Ihrer Mitarbeiter sind denn von diesem Technologiewandel betroffen? Oder anders gefragt: Wie viele müssen sich denn gerade weiterbilden oder gar umschulen lassen?
Thymian Bussemer: Wir haben in der Personalstrategie ein Ziel, dass wir sagen, wir wollen konzernweit 30 Weiterbildungsstunden pro Mitarbeiter pro Jahr haben. Das ist die Marke, die wir gesetzt haben. Das gilt aber natürlich nicht, wenn ich jetzt Leute komplett requalifiziere oder upskille, dann können das ja auch mehrmonatige tatsächlich Qualifizierungen sein, wo die Mitarbeiter überhaupt nicht am Arbeitsplatz sind. Von daher lässt sich das schwer zahlenmäßig bemessen, vor allem, wenn ich auf den Konzern gucke.
Es ist natürlich schon so: ein fahrzeugbauendes Werk, das wir umklappen, heißt: Schulung aller Mitarbeiter, die in der Produktion tätig sind. In Zwickau waren es 8000. Jeder, der irgendwie in die Nähe von Elektrofahrzeugen darf, braucht eine Hochvoltschulung, dass er einfach die Gefahren im Umgang mit starkem Strom kennt. Also da gibt es dann schon so einige Monate, wo so ein Werk auch deswegen stillsteht, weil eben requalifiziert wird.
Generell finde ich ja den Transformationsbegriff etwas verengt. Ich sage mal das Umklappen von ICE, also vom Verbrenner, auf den BEV, ist eigentlich ein relativ technischer Prozess. Ich kann da sehr genau beschreiben, welche Produktionsverfahren sich ändern, welche Komponententeile ich künftig nicht mehr brauche, welche neuen hinzukommen. Mein Transformationsbegriff ist ja doch eher ein unbestimmter, dass es nicht heißt: von A nach B und ich weiß genau, wie B aussieht, wenn ich in A loslaufe, sondern das ist doch ein sehr grundlegender Wandel, der sich in vielen Ebenen vollzieht - sicherlich im Bereich der Digitalisierung ganz stark. Ich denke auch, die Frage der Zukunft des pilotierten Fahrens und wer als Erster in der Lage ist, da tatsächlich alltagstaugliche Fahrzeuge anzubieten, wird die Branche mächtig durchrütteln. Es geht aber auch um Geschäftsmodellveränderungen. Es wird ganz oft übersehen, die bislang größte Transformation der Automobilindustrie war eigentlich in den 60er, frühen 70er Jahren mit dem Leasing-Geschäft. Also dass der Zustand, dass man ein Auto kaufen musste, wenn man es nutzen wollte, ersetzt wurde durch eins, dass man es de facto ja mietet. Das ist ein Geschäftsmodellwandel gewesen, der von ganz fundamentaler Bedeutung ist. Also ich würde einfach die Transformationsbewegung, in der wir ohne Frage sind und die auch viel mit Nachhaltigkeit, mit Emissionsvermeidung zu tun hat, größer einschätzen als den reinen Wandel zur Elektromobilität. Und das gilt dann natürlich auch für die Qualifizierungsveränderungen, die damit einhergehen.
Ehrlich muss man, glaube ich, schon sagen: Die Anteile, die wir vorhandene Mitarbeiter für vollkommen neue Tätigkeiten und Skills qualifizieren, sind geringer als der Anteil von Leuten, die wir dann eben von außen neu reinholen. Da sind die Sprünge einfach manchmal zu groß.
Moderatorin: Jetzt sprechen Sie davon, dass Sie neue Leute einstellen. Man konnte in der Presse lesen, dass VW im November 2023 angekündigt hat, Personal abzubauen, weil die Auftragslage insbesondere bei Elektroautos schlecht sei. Wie passt das denn zusammen, wenn man versucht, nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen und auch auf die kommenden Generationen guckt und dann ankündigen muss, dass Altersteilzeitmodelle und Ruhestandsregelungen in den nächsten Jahren maximal genutzt werden sollen?
Thymian Bussemer: Also auch hier wieder Volkswagen AG versus Volkswagenkonzern. Das Programm, das Sie gerade beschreiben, bezieht sich auf die Volkswagen AG, also eine relevante, mit 110- bis 115.000 Mitarbeitern Teilentität des Konzerns, in der dieses Programm läuft. Es ist richtig, wir haben momentan einen Einstellstopp. Wir haben auch einen Einstellstopp für viele Zukunftsberufe. Wir haben keinen Einstellstopp für Engpass-Jobcluster, die wir definiert haben oder die wir in Anlehnung an einen Katalog der Bundesagentur für Arbeit übernehmen. Das Programm bezieht sich tatsächlich weniger auf die langsam verlaufende Einführung der Elektromobilität, wobei ich das zugebe: Unsere Erwartungen waren da optimistischer. Es werden keine Produktionsmitarbeiter abgebaut, es geht um die Verwaltungsbereiche. Also es gibt ein Personalkostensenkungsziel für die sogenannten indirekten Bereiche, die - ich sage mal vorsichtig, das ist ja so ein Pendel, was ich dann doch vor- und zurückbewegt -, jetzt vielleicht auch in den vielen Jahren der guten Konjunktur etwas Speck angesetzt haben. Also das ist die Bewegung, die aktuell in der VW AG läuft.
Moderatorin: Können Unternehmen denn aus eigener Kraft, vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, den Umbau zu nachhaltigen Arbeitsplätzen schaffen, Frau Pfeiffer?
Sabine Pfeiffer: Na ja, es ist natürlich nicht einfacher. Es ist schade, wenn Unternehmen warten bis zu dieser Phase, weil dann möglicherweise auch noch Markt- und andere Unsicherheiten dazukommen, die unklar machen, wie viel Geld ist sozusagen in der Kasse, mit was kann man rechnen und dann vielleicht auch einen unflexibler machen. Insofern ist es immer gut, schon - wie das ja in Konzernen wie Volkswagen immer auch passiert - das vorher schon zu tun.
Es schließt es aber auch nicht aus. Ich würde auch sagen, manche Unternehmen, die jetzt vielleicht auf kleinere, die auch vielleicht unfreiwillig in für sie sich sehr transformative anfühlende Prozesse gestolpert werden sozusagen, weil ihr bisheriges Geschäftsmodell einfach nicht mehr funktioniert und sie sich neu erfinden müssen, die haben ja oft dann gar nicht die Chance zu sagen, je nachdem auch, wo sie geografisch sitzen: Ich tausche jetzt sozusagen aus, ich stelle alle aus, wenn es überhaupt geht, die ich bislang hatte, und suche mir sozusagen passend genau das Portfolio an Qualifikationen, das ich jetzt neu brauche. Das funktioniert ja so aus unterschiedlichen Gründen nicht. Insofern bleibt ja dann meistens auch gar nichts anderes übrig und ist eigentlich eine klassische Managementaufgabe zu sagen, gerade in unsicheren Zeiten: Wie kann ich mit den Humanressourcen, die ich habe, diesen Umbau gut gestalten? Und vielleicht lernen die Unternehmen, die da bislang auf die sozusagen das, was wir nachhaltige Arbeit nennen, nicht so viel Wert gelegt haben, in solchen Zeiten auch, wie wichtig das ist. Weil sie kriegen natürlich auch Commitment von Beschäftigten, die vielleicht auch andere Optionen in solchen Zeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, die ich halten will, natürlich auch in einer ganz anderen Form, wenn klar ist: Diese Transformation wird nicht nur gemacht, damit am Ende wieder der Rubel rollt sozusagen, sondern dabei wird auch darauf geachtet, dass am Ende auch wieder gute, ganzheitliche Arbeitsschritte entstehen und einfach gute oder das, was wir nachhaltige Arbeit im Bericht genannt haben, auch hinten wieder rauskommt.
Moderatorin: Sie haben ja für VW eine Studie gemacht, die letztes Jahr erschienen ist. Die heißt Arbeit und Qualifizierung 2030 und Sie haben über 100 VW-Mitarbeiter dafür auch gesprochen. Können Sie uns kurz schildern, was das Ergebnis dieser Studie war und wie die Mitarbeiter diesen Transformationsprozess selber erleben bei VW?
Sabine Pfeiffer: Also ganz kurz vorab gesagt: Ich bin eine von denen, die die Studie gemacht hat. Da waren natürlich sehr viel mehr beteiligt.
Moderatorin: Genau. Aber sie haben sie konzipiert und geleitet.
Sabine Pfeiffer: Genau. Ja, also ich meine, das ist gar nicht alles in drei Sätzen zusammenzufassen, was einem weit über 100 Leute in teilweise mehr als zweistündigen Interviews erzählen oder was wir dann auch in der großen quantitativen Studie bei Volkswagen, aber auch in der Branche insgesamt rausgefunden haben. Eine spannende Sache ist vielleicht auf jeden Fall, dass die digitale Transformation, die in den Medien ja auch immer mit diesen: Es ist alles super disruptiv! von vielen Beschäftigten eher als zu langsam empfunden wird. Also die, dass was so im öffentlichen Diskurs dann doch oft sehr vorherrschend ist: Da passiert was ganz schnell und Beschäftigte sind aber da verunsichert. Da sagen viele Beschäftigte im Interview: Das hätte ich gern schneller, da wäre ich gerne an meinem Arbeitsplatz schon sozusagen besser ausgerüstet. Also da gibt es überhaupt nicht dieses Gefühl von: Ich werde hier überrollt. Da gibt es natürlich Unterschiede, sehr unterschiedliche, wenn man jetzt in einen klassischen Sekretariatsbereich geht und da größere Umbrüche sind, dann ist es was anderes, als wenn ich in sowieso sehr technischen Bereichen sind und die Leute sagen, ich hätte gern noch das letzte Tüpfelchen an der aktuellen Digitalisierung am Arbeitsplatz.
Insgesamt war total spannend, dass das sehr viele Menschen von sich selber davon gesprochen haben, dass sie ja schon transformiert sind oder sich gerade transformieren. Was immer bedeutet hat: Entweder man lässt sich auf eine größere Weiterbildung gerade ein oder durchläuft die gerade oder man verändert die Stelle. Also gerade in den Bereichen, die jetzt gerade als Umklappbereiche genannt wurden, wo Menschen wirklich, ja, in völlig anderen Jobsituationen landen, das ist natürlich ein Riesenumstellungsprozess. Der macht auch was mit den Menschen, weil natürlich oft manchmal die bisherige Qualifikation und Erfahrung dann als nicht mehr so gewertschätzt erst mal erfahren wird, gleichzeitig aber auch viele Menschen sagen: Ich habe mich jetzt wohin verändern können, wo ich eigentlich immer hinwollte. Es ist eigentlich genau das, wo ich immer hinwollte. Das hat mir jetzt sozusagen diese Veränderung im Konzern eigentlich erst möglich gemacht, die wäre vielleicht unter anderen Bedingungen so gar nicht möglich gewesen. Es ist sehr, sehr vielfältig.
Weil Sie vorhin noch öfter gefragt haben: Wie sind denn die Verhältnisse? Wir haben ja bei Volkswagen und darüber hinaus eine Studie gemacht und die Leute gefragt und auch eben nicht nur eng an den technischen Antriebssachen, wie Thymian Bussemer das jetzt schon richtig gesagt hat, das ist ja viel vielfältiger, sondern wir haben immer gefragt: Hat man mit neuen Antriebstechnologien in irgendeiner Form zu tun, am Arbeitsplatz? Mit dem Thema autonomen Fahren? Mit Ladeinfrastruktur? Ist ja auch nicht unwichtig bei dem Thema. Auch ein Technologiethema oder einfach mit neuen Geschäftsmodellen um dieses Ganze herum. Und die Person, die mindestens eins dieser vier Dinge benannt haben in der Branche jetzt insgesamt also auch Zulieferer, das sind 37 Prozent, die in irgendeiner Form davon betroffen sind an ihrem Arbeitsplatz.
Man muss sich ja auch nicht immer vorstellen, dass dann ganze Arbeitsplätze immer zu 100 Prozent jetzt auf einmal was anderes machen. Wer sich vorher schon mit Geschäftsmodellen beschäftigt hat, da kommen halt neue Facetten von Geschäftsmodellen vielleicht dazu. Und man darf auch nicht vergessen: Es gibt viele Bereiche auch, die sich gar nicht verändern, weil sie auch genauso wie sie sind, auch in transformativeren Zeiten gebraucht werden. Die sind ja deswegen nicht sozusagen hat jetzt nicht einfach nur nicht auf dem Schirm, sondern manche Dinge bleiben ja auch tatsächlich, wie sie sind und die müssen auch stabil weiterlaufen. Das ist ja auch eine wichtige Größe.
Moderatorin: Haben Sie ein Beispiel?
Sabine Pfeiffer: Jetzt mal ein ganz banales Beispiel, aber das darf man auch nicht unterschätzen. Kantine, bestimmte Facility-Management-Geschichten in einem großen Konzern mit vielen Hallen, mit vielen Transportfahrzeugen und so, da gibt es ja ganz viel, was einfach - ich sag jetzt mal - den Laden an sich am Laufen halten muss, was man vielleicht eben nicht auf dem Schirm hat, wenn man an Transformation denkt. Aber man stelle sich nur vor, all diese Menschen würden sich was anderes suchen in dieser Zeit und sagen: Ach, da passiert rechts und links so viel Spannendes, Ökologisches, ich gehe jetzt in die Solarbranche oder so. Die werden natürlich ja genauso gebraucht, sind vielleicht nicht so hipp und man denkt da nicht rein, aber das sind natürlich…, diese Stabilität an solchen Stellen ist natürlich extrem wichtig, wenn die wegbrechen würde, gerade in solchen Zeiten, wird es für die anderen, die gerade in solchen Veränderungsprozessen drinstecken, eigentlich ziemlich dramatisch.
Moderatorin: Herr Bussemer, wenn ein junger Mensch sich überlegt, zu VW zu gehen und eine Ausbildung zu machen, würden Sie ihm sagen: Das ist eine gute Idee, weil … wir einen nachhaltigen, sicheren Arbeitsplatz bieten? Oder ich rate dir: Vielleicht machst Du was anderes. Ich weiß nicht, ob sie Kinder haben? Vielleicht versuchen Sie, sich einfach mal von Ihrer Rolle als Personalmensch bei VW zu lösen und eine Antwort zu geben.
Thymian Bussemer: Volkswagen ist und wird bleiben, ein hochfaszinierendes Unternehmen und es gibt Möglichkeiten, sehr schnell nach einer Berufsausbildung ins Ausland zu gehen und mit der Zusicherung zurückkehren zu können, erst mal ins Studium zu gehen. Es gibt die Möglichkeit zu Marken- und Geschäftsbereichswechseln. Und natürlich sind unsere Ausbildungssysteme, weil sie sehr groß sind, auch sehr professionalisiert und sozusagen sehr, sehr, sehr feingliedrig.
Ich glaube, wir bemühen uns. Und da kämen wir dann ja etwas näher an den Begriff der Nachhaltigkeit ran, eben auch stark politische Bildung, Erinnerungskultur ist ein wichtiges Thema, einzuweben in die Ausbildung. Seit 1985 unterhalten wir eine sehr, sehr enge Kooperation mit der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz. Da sind viele Tausende Auszubildende von uns schon gewesen, haben Zeitzeugen und Überlebende getroffen, haben aber auch praktisch auf dem Gelände der Gedenkstätte Auschwitz am Erhalt von Anlagen mitgearbeitet. Also da sind natürlich unglaublich viele Dinge, die uns attraktiv machen, und das wird sich auch nicht großartig ändern. Meine Lieblingsthese ist ja immer, dass ich sage: Durch all die Veränderungen wird die Arbeit in der Automobilindustrie viel bunter, viel diverser. Wir brauchen ganz viele neue Gewerke und Leute mit Abschlüssen, da wären wir vorher gar nicht auf die Idee gekommen, die einzustellen. Also es wird spannender. Und ja, natürlich, der Kurs der gesamten Branche ist auf Eindämmung der CO2-Emissionen und damit werden wir in der Arbeit langfristig nachhaltiger werden.
Wenn ich zu dem, was Sabine Pfeiffer gerade gesagt hat, noch mal sagen darf: Ich glaube, die Studie, die hatte natürlich ganz viele Aspekte, aber mir sind sozusagen zwei in Erinnerung. Auf der einen Seite ist es eine Momentaufnahme, die gezeigt hat, wie offen doch unsere Beschäftigten eben auf die absehbaren Veränderungen mit der E-Mobilität zugegangen sind. Das war für uns einfach ein wichtiger Indikator, zu sehen: Was kann man den Leuten eigentlich zumuten? Wie stark haben die die neue Strategie verstanden? Der fast interessantere und da gibt es, glaube ich, eine Beziehung zu dem, was jetzt gerade hier passiert, Aspekt ist: Man hat gut gesehen die Auf-, Um und Abwertung von Berufen bei uns. Also die sozusagen die Königs-Ingenieure in der Automobilindustrie, das waren immer die Motorenentwickler, die brauche ich nicht mehr in der Elektromobilität. Also ein Elektromotor ist so einfach, dass ich da nicht den Schweiß der Edlen drauf verwenden muss, wie das jetzt mit den ja immer stärker emissionsgedämmten Verbrennungsmotoren noch der Fall ist. Das gilt aber für viele andere Berufe auch. Also wir sehen ja eigentlich in allen großen deutschen Konzernen, dass es gerade Restrukturierungsprogramme gibt, vor allem in den Verwaltungsbereichen und wir wissen gleichzeitig: Eigentlich ist der Fachkräftemangel schon da oder wir laufen direkt auf ihn zu. Es ist ja eigentlich paradox, jetzt Leuten zu sagen: Na, wir machen Euch Abfindungsangebote oder schicken euch eben verfrüht in eine Altersregelung, wenn ich weiß, dass die Arbeitsmärkte sehr, sehr, sehr, sehr dünn werden in den nächsten Jahren. Ich glaube aber, dass eben gerade in diesen Verwaltungsbereichen der Unternehmen die Juristen, die Finanzer, zum Teil auch die Personaler, die werde ich einfach in Zukunft so nicht mehr, nicht mehr brauchen.
Das hat mit Digitalisierung zu tun, mit der aufziehenden künstlichen Intelligenz. Es wird also ein Stück weit einen Beschäftigtenaustausch geben. Gruppen, die sehr dominant waren in diesen großen Unternehmensverwaltungen, die gehen raus, die spüren, glaube ich auch, dass sie sozusagen nicht mehr die Bedeutung haben, die sie früher hatten. Und dann werden wir einen Kampf um Talente haben für eben eher im Bereich IT, Design, User Experience angesiedelte Talente, die sehr schwer wird zu finden.
Also da findet eine Umwidmung statt in der Beschäftigtenstruktur in diesen indirekten Bereichen. Und das hat man in der Studie tatsächlich gesehen, wie diese Leute, die sehr lange als Ingenieure, als hochqualifizierte Facharbeiter sozusagen im Zentrum unserer Wertschöpfungsprozesse standen, wie sie, die merkten, sie gerieten mehr an den Rand und welchen Einfluss hatte das auf Ihr Selbstbild?
Moderatorin: Ja, vielen Dank. Damit sind wir schon am Ende der dritten Folge des Podcasts Mit.Arbeit. Vielen Dank, Herr Bussemer, vielen Dank, Frau Pfeiffer. Und bis bald.