Ein großer Teil der Beschäftigten ist vom digitalen Wandel an ihrem Arbeitsplatz betroffen. Wie reagieren die Beschäftigten auf die Veränderungen an ihrem Arbeitsplatz?
Pfeiffer: Die digitale Transformation fällt ja an den meisten Arbeitsplätzen nicht einfach so vom Himmel, sondern sie muss gemacht werden. Da kommt also etwas Neues in den Arbeitsabläufen hinzu, aber es gibt auch bereits Bestehendes, alte IT-Systeme, andere Prozesse und organisatorische Abläufe. Das muss nun mit den neuen Technologien verheiratet werden, und das ist eigentlich genau das, was die Beschäftigten vor Ort machen. Deshalb ist es meiner Ansicht nach nicht die richtige Sichtweise, wenn man sagt, da kommen quasi von oben Neuerungen auf die Beschäftigten herab und sich dann fragt, wie diese darauf reagieren. Sondern es sind die Beschäftigten, die die Transformation machen. Häufig gibt es die Unterstellung, dass Beschäftigte ängstlich sind, sorgenvoll in die Zukunft blicken in Bezug auf die digitale Transformation. In meiner Forschung finde ich dagegen oft, dass Beschäftigte eher sagen, ich hätte gern an meinem Arbeitsplatz die digitale Technik, mit der ich privat schon längst unterwegs bin. Das heißt, oft geht es Menschen zu langsam und sie sagen, das wäre schön, wenn die neue Technologie endlich bei mir am Arbeitsplatz ankäme.
Sie haben das Konzept des „Arbeitsvermögens“ als Ressource auf dem Weg zu Industrie 4.0 entwickelt. Können Sie dies näher erläutern?
Pfeiffer: Wir schauen in unserer Forschung sehr genau an, was die Ressourcen sind, die es Beschäftigten ermöglichen, einen größeren Wandel wie Industrie 4.0 oder die digitale Transformation gut bewältigen zu können. Und wir schauen, welche Fähigkeiten sie schon in ihrem ganz normalen Arbeitsalltag haben, die sie besonders gut darin befähigen, mit größeren Veränderungsprozessen gut umzugehen. Dabei zeigt sich, dass viele Menschen an ihrem Arbeitsplatz nicht einfach nur nach „Schema F“ arbeiten, sondern mit Unwägbarkeiten umgehen müssen. Es passieren unvorhergesehene Dinge, mit denen man spontan umgehen muss. Da hilft Fachwissen, aber da hilft auch viel Erfahrungswissen. Die Komplexitäten nehmen überall zu. Das ist sozusagen die zweite Dimension. Das heißt, auch sogenannte „Einfacharbeit“ findet oft in einem sehr komplexen Umfeld statt, mit dem man trotzdem irgendwie umgehen muss.
Die dritte Variante oder die dritte Dimension ist der ständige Wandel. Denn es ist ja nicht so, dass wir seit den 1950er-Jahren Stillstand in der Arbeitswelt hatten und dann auf einmal die digitale Transformation kam, sondern wir erleben einen permanenten Wandel. Die Kunden und Kundinnen verändern sich, Märkte verändern sich, Produkte verändern sich, Prozesse. Damit umzugehen und diesen Wandel ständig zu prozessieren, zu machen, lebendig zu machen. Beschäftigte, die mit diesen drei Dimensionen an ihrem Arbeitsplatz sowieso schon viel zu tun haben, können mit einem größeren Wandel besser umgehen. Wir finden in unserer Forschung, dass sehr viele Arbeitsplätze genau das auch schon abfordern. Die Beschäftigten sind oft fähiger, mit Wandel umzugehen, als ihnen das zugetraut wird, manchmal von ihrem eigenen Management, manchmal auch von der Forschung, in der häufig nur danach gefragt wird, ob da viel Angst und Sorge bei den Beschäftigten ist. Die können aber Wandel eigentlich ganz gut, weil er ihnen sowieso täglich abgefordert wird.
Was kann die Praxis aus Ihrer Forschung lernen, um Transformationsprozesse gut zu gestalten?
Pfeiffer: Ich denke, wir können mit unserer Forschung einerseits immer wieder gut zeigen, wie wichtig die Ressourcen der Beschäftigen sind. Andererseits aber auch, dass die nur zum Tragen kommen, wenn man die Beschäftigten frühzeitig partizipativ in die Prozesse einbezieht. Das ist für die Beschäftigten gut, das ist aber auch für das Unternehmen gut. Denn wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon sehr früh beteiligt werden, lernen sie im Doing das Neue schon mit. Die große Frage nach formaler Weiterbildung stellt sich dann oftmals gar nicht mehr so brisant.
Auf der anderen Seite sehen wir, dass es sich positiv auf die Technologien auswirkt, wenn die Belegschaft bei ihrer Ausgestaltung früh miteinbezogen wird. Wir haben ja leider häufig digitale Technologien, die nicht gut implementiert sind, die nicht gut an die Arbeitsprozesse angepasst sind, die manchmal sogar mehr Arbeit schaffen. Das Wissen um die nötige Anpassung von Technologien, damit sie wirklich gut in die Arbeitsprozesse hineinpassen, das haben eigentlich nur die Beschäftigten vor Ort. Das heißt, je früher man die Belegschaften einbezieht, desto besser. Leider wird das oft nicht gemacht. Stattdessen denken viele, dass man für den Einsatz neuer Technologien Expertinnen und Experten von außen holen müsse, die alles besser wüssten. Die wissen vielleicht manches besser, aber so richtig gut wird es nur, wenn die Beschäftigten von Beginn an mit dabei sind. Manchmal übersieht auch das Management, dass es gut ist, den Beschäftigten da mehr zuzutrauen und ihnen mehr echte Mitsprache von Anfang an zu gewähren. Am Ende ist das für alle die bessere Variante.