Wer einen Text in einer anderen Sprache verstehen will oder gar eine Live-Übersetzung braucht, kann heute einfach künstliche Intelligenz (KI ) nutzen. Was heißt das für die Arbeit von Übersetzern und Dolmetscherinnen? Marco Agnetta und Katharina Walter vom Institut für Translationswissenschaft der Universität Innsbruck erklären, wie sich das Berufsfeld verändert.
Arbeitswelt-Portal: Für welche Tätigkeiten wird KI bereits eingesetzt?
Katharina Walter: In unserem Berufsfeld ist generative künstliche Intelligenz schon seit einigen Jahren integraler Bestandteil – deutlich länger als in anderen Bereichen. Es begann damit, dass Google 2017 Übersetzungstools mit neuronalen Netzen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machte und sowohl Profis als auch Laien sie nutzen konnten. Inzwischen ist die schriftliche Übersetzung fast immer von KI begleitet: DeepL und Google Translate nutzen viele Übersetzerinnen und Übersetzer als Hilfsmittel. Und Chatbots wie ChatGPT scheinen sich besonders im Tourismus zu bewähren, weil sie Alltagssprache gut wiedergeben können – von der Speisekarte bis zum Reiseführer.
Marco Agnetta: Es gibt zudem etliche Tools, um gesprochenes Wort in Text umzuwandeln. Das wird etwa für die Untertitelung von Filmen genutzt. Auch Dolmetscherinnen und Dolmetscher arbeiten damit. KI -Lösungen sind sehr geeignet dafür, vorher eingegebene Dinge wie Namen, Zahlen oder Ähnliches mitzuschreiben. Umgekehrt können sie auch Texte in Sprache umwandeln, zum Beispiel im Kontext der Audiodeskription. Viele Menschen werden am Bahnhof schon einmal eine künstliche Stimme gehört haben, die vorliest, wann der nächste Zug oder Bus kommt. Bislang haben ausgebildete Sprecherinnen und Sprecher das gemacht, doch ihnen werden – auch wegen des ansteigenden Bedarfs – zunehmend KI -Systeme zur Seite gestellt.
Arbeitswelt-Portal: Welche Aufgaben wird KI vollständig oder weitgehend übernehmen?
Agnetta: Da der Einfluss schon jetzt so groß ist, ist das Umwälzungspotenzial kleiner als in anderen Bereichen. Dennoch wird KI immer weiter um sich greifen. Bleiben wir bei künstlichen Stimmen: Noch sind sie für unsere Ohren ungewohnt. Doch daran werden wir uns zu 100 Prozent gewöhnen, sodass sie in immer mehr Bereichen eingesetzt werden. Ähnlich ist es mit der Audiodeskription für Sehgeschädigte in Filmen: Bevor etwas gar nicht beschrieben wird, akzeptiert die Rezipientenschaft in bestimmten Genres, etwa Dokus und Erklärvideos, durchaus den KI -Output.
Walter: Auch der Evaluationsprozess von Übersetzungen könnte sich weiter verändern. Bislang ist es meist so, dass ein Mensch die KI -Ergebnisse prüft und bearbeitet – das nennt sich Post-Editing. Es gibt Bestrebungen, das gänzlich zu ersetzen oder zu automatisieren. In einigen wenigen Bereichen kann das funktionieren, wenn es kein großes Risiko und keinen kreativen bzw. ästhetischen Anspruch gibt. Aber es wird immer Spielraum bleiben, in dem der Mensch zu anderen Ergebnissen kommen würde als die KI .
Arbeitswelt-Portal: Zum Beispiel?
Walter: Ich habe mir für meinen Unterricht kürzlich zu Demonstrationszwecken von ChatGPT einen Text von Virgina Woolf übersetzen und für ein jüngeres Publikum vereinfachen lassen. Statt dem Wort “Madonna” stand da plötzlich “freundliche Frau”. Das ist eine Übersetzungslösung, die unserem Urteil nach eine Wertung beinhaltet. In dem Fall mag das verschmerzbar sein, aber so etwas passiert natürlich auch in kritischeren Zusammenhängen.
Arbeitswelt-Portal: Welche Aufgaben werden Menschen künftig definitiv noch selbst erledigen?
Walter: Aus meiner Sicht gibt es zwei Dinge, die nie vollständig automatisiert werden können. Das eine sind Texte, bei denen ein Risiko besteht – wie im Gesundheitsbereich und in der Politik. Da gibt es eine gewisse Haftbarkeit der Herausgeberinnen und Herausgeber, die man nicht einer Maschine zuschreiben kann. Das andere sind Texte, bei denen es nicht nur um die Inhalte geht, sondern um einen ästhetischen Anspruch, wie beim literarischen Übersetzen, bei Gedichten oder Werbeslogans. So etwas kann man nicht komplett einer KI überlassen.
Agnetta: Bei der Umwandlung von Sprache in Text gibt es bislang auch noch Probleme. Stimmen die akustischen Bedingungen nicht, weil der Wind weht oder der Sprecher heiser ist, kann das Ergebnis unbefriedigend ausfallen. Auch Dialekte bringen KI oft in Bedrängnis. Gerade bei wenig verbreiteten Sprachen und Dialekten. Oder beim Dolmetschen: Das wird nicht vollständig von Avataren übernommen werden. KI wird sicher beim Vorbereiten eine große Rolle spielen, um etwa wichtige Begriffe zusammenzustellen. Vielleicht kann sie auch die zweite Person ersetzen, die bislang oft nötig ist, damit die jeweils andere eine kognitive Pause machen kann.
Arbeitswelt-Portal: Welche Fähigkeiten müssen Beschäftigte künftig haben aufgrund der KI-bedingten Veränderungen?
Walter: Früher war es für Übersetzerinnen und Übersetzer wichtig, ohne Wörterbuch in einen flüssigen Schreibmodus zu kommen. Das ist mittlerweile anders: Man muss nicht mehr jede Vokabel kennen. Man kann von Beginn an eine maschinelle Übersetzung verwenden, die man nachbearbeitet. Wichtiger wird daher das analytische Verständnis und die Fähigkeit, unterschiedliche Tools bedienen zu können.
Agnetta: Sehr wichtig ist auch, zu verstehen, wie die Tools zu ihren Ergebnissen kommen. Die Ergebnisse zu prüfen und zu verbessern, wird auch immer wichtiger. Daher wird die Ausbildung zum Übersetzer immer mehr um Kurse zum Prae- und Post-Editing erweitert. Programmierkenntnisse sind da aber eher weniger erforderlich.
Arbeitswelt-Portal: Welche Risiken birgt der Einsatz von KI für Beschäftigte?
Agnetta: Es besteht die Sorge, dass Übersetzer zu bloßen Dienstleistern verkümmern, die KI -generierte Texte überprüfen. In manchen Bereichen ist diese Tendenz deutlich zu beobachten, aber längst nicht in allen. Dabei besteht die Hauptgefahr darin, dass sich Sprachdienstleister wie auch die Konsumenten von Übersetzungen an einen sehr reduzierten, gewissermaßen schablonenhaften und manchmal auch mangelhaften Sprachgebrauch gewöhnen.
Walter: Es werden tendenziell weniger Leute Sprachen lernen. Die Studierendenzahlen in unseren Instituten sind rückläufig, allen voran im englischsprachigen Raum, wo man schon immer weniger Sprachen lernt. Das Englische verdrängt andere Sprachen zunehmend – auch durch KI . Denn: KI ist in Englisch besonders gut, weil besonders viel englischsprachiges Trainingsmaterial zur Verfügung stand. Und weil sie so gut darin ist, verbreiten sich auch die durch sie produzierten englischsprachigen Texte überproportional. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass KI helfen kann, vom Aussterben bedrohte Sprachen zu retten. Unter anderem gibt es in Südafrika schon eine Bewegung, die sich dafür einsetzt, die unterschiedlichen indigenen Sprachen digital zu erhalten.
Arbeitswelt-Portal: Würden Sie jungen Menschen noch raten, Übersetzerin oder Dolmetscher zu werden?
Agnetta: 100 Prozent, ja. Tatsächlich steigen die Übersetzungsvolumina sogar. Nehmen wir zum Beispiel das Streamingportal Netflix: Ein gutes Ziel ist, Filme in allen Sprachversionen und barrierefrei verfügbar zu machen. Da ist noch sehr viel zu tun. Sprache ist ein vielfältiges Feld, das sich immer weiterentwickelt. Maschinen müssen entsprechende Regeln erst lernen.
Walter: Auch in den Bereichen Medizin, Technik, Recht, sowie in der Literaturübersetzung und im Bereich der Transkreation wird man auf die menschliche Intervention nicht verzichten können. Und in allen anderen Bereichen wäre aufgrund von KI eine hohe Übersetzungsqualität durch die menschliche Nachbearbeitung maschineller Übersetzungen leistbar und äußerst wünschenswert.