52,3% der Beschäftigten in IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen waren zuletzt von wesentlichen Umstrukturierungen und Umorganisationen betroffen - mehr als in allen anderen Berufsgruppen. Ein naturwissenschaftlicher Dienstleistungsberuf ist der der Schornsteinfegerinnen und Schornsteinfeger.
Sie arbeiten in einem Beruf, der sich durch technologischen Fortschritt, Digitalisierung und den Klimawandel in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert hat. Hans-Ulrich Gula (76) und Alexis Gula (44) gehören als Vater und Sohn zwei Generationen an, die die Transformation im Arbeitsalltag hautnah erlebt haben und erleben. Unser Doppelporträt zeigt, was der Wandel für ihre Arbeit früher und heute bedeutet und wie sie und ihre aktuell 21.000 Kolleginnen und Kollegen damit umgehen.
Arbeitsalltag & Wandel
In den 60er Jahren haben wir Schornsteine und Feuerstätten gereinigt. Ab 1974 kam die gesetzliche messtechnische Überprüfung der Feuerungsstätten dazu, später die von Öl- und Gasfeuerungsanlagen. Die Anlagen und Ergebnisse haben wir manuell im Kehrbuch aufgezeichnet. 74 hat man auch manuell gemessen – von der Nullpunkt-Justierung der Geräte bis zur Messung. Jahre danach kamen automatische Messgeräte auf den Markt, von denen wir die Werte ablesen und per Hand aufzeichnen mussten – während die EDV langsam ankam und wir sie im Büro in den PC übertragen konnten.
Kompetenzen
Früher ging es um reine Kehrtätigkeiten. Heute machen Schornsteinfeger zu mindestens 70 Prozent messtechnische Arbeiten, Energieberatung und alles, was mit Klimawandel zu tun hat. Als junger Lehrling hätte ich mir nie vorstellen können, dass wir mal eine so große Rolle in der Energieberatung spielen würden. Insgesamt war das eine positive Entwicklung: Unsere Aufgaben sind im Lauf der Jahrzehnte wesentlich abwechslungsreicher geworden. Neben den Kompetenzen zum Umgang mit der wachsenden technologischen Vielfalt und Beratung sind Kundenkontakt und Kundenfreundlichkeit bei uns noch stärker Thema geworden. Ich persönlich kann bei all dem Wandel sagen: Wer bereit war, sich weiterzubilden, konnte ihn problemlos meistern.
Zukunft
Durch den Klimawandel werden herkömmlichen Anlagen durch moderne Feuerungsanlagen wie Wärmepumpen, Sonnenkollektoren und andere Techniken der regenerativen Wärmegewinnung ersetzt werden. Das heißt, dass der Sektor Energieberatung weiterwachsen wird. Ich persönlich halte den Beruf nach wie vor für sehr attraktiv. So wie die Ausbildungszahlen zurzeit sind, scheinen das auch immer mehr junge Menschen so zu sehen. Sie haben enorm viel Kundenkontakt und gute Aufstiegsmöglichkeiten in relativ kurzer Zeit. Auch für junge Frauen wird der Beruf immer interessanter. Als ich angefangen habe, gab es keine Schornsteinfegerinnen. Heute liegt ihr Anteil bei rund 10 Prozent.
Arbeitsalltag & Wandel
Zu 30 bis 40 Prozent mache ich heute Büroarbeit, durch immer mehr gesetzliche Dokumentationspflichten nimmt das weiter zu. Aber auch Kundentelefonate machen einen großen Teil aus. Dazu kommen Ortstermine zur Überprüfung der Anlagen oder Beratung vor Ort. Neben dem Kehrbesen habe ich vollautomatische elektronische Messgeräte und mein Tablet dabei. So kann ich meine Daten sofort übertragen und dem Kunden das Ergebnis seiner Heizungsprüfung zum Wirkungsgrad oder der Betriebs- und Brandsicherheit direkt vor Ort zeigen. Wir prüfen Heizungsanlagen von rund 25 Heizungsanbietern, mit deren Geräten wir uns auskennen müssen, Technologieoffenheit ist also gefragt. Und die Energieberatung wird im Klimawandel immer wichtiger: Wir haben inzwischen mehr als 10.000 ausgebildete neutrale, also herstellerunabhängige Energieberater.
Kompetenzen
Zu den Kernkompetenzen zählen für mich nach wie vor Zuverlässigkeit, Freundlichkeit und Ehrlichkeit. Denn wir kommen ins Private der Leute und damit in ein Vertrauensverhältnis. Zusätzlich muss ich mich heute in der Computerwelt auskennen: vom digitalen Messinstrument bis zur Terminvereinbarung über Outlook oder andere digitale Tools, die den Termin per Zettelaushang bald ablösen könnte. Auch viele Schulungen laufen digital, vor allem seit Corona.
Zukunft
Der Klimawandel bleibt ein großes Thema. Die klassische Schornsteinfegerarbeit wird weiter zurückgehen. Stattdessen werden uns unter anderem elektrische Wärmepumpen und Lüftungsanlagen beschäftigen, die der Außenluft Wärme fürs Heizen oder Kühlen der Gebäude entziehen. Viele Kolleginnen und Kollegen gehen aktuell schon in die Energieberatung, andere ins Thema Brandschutzkonzepte oder Rauchwarnmeldeüberprüfung. Auch der Fachkräftemangel wird uns weiter umtreiben. Vielen gilt die Arbeit immer noch als körperlich anstrengend. Doch das ändert sich mit dem Wandel der Kehrarbeiten zu Überprüfungen. Und die Digitalisierung erleichtert den Job zusätzlich.
Neben klassischen Kehrtätigkeiten haben Schornsteinfegerinnen und Schornsteinfeger ihre Aufgaben heute in Brandschutz, Sicherheit, Umweltschutz und Beratung rund ums Heizen und Klimatisieren von Gebäuden. Zurzeit arbeiten in Deutschland mehr als 21.000 Berufsangehörige sowie rund 1.770 Auszubildende in 7.500 Innungsbetrieben*.
*Quelle: Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks