Wie verändert künstliche Intelligenz (KI ) die Arbeit der Polizei? Digitalexperte Stephan Ursuleac vom Bitkom sieht viele Einsatzmöglichkeiten, aber auch ein Akzeptanzproblem.
Arbeitswelt-Portal: Für welche Tätigkeiten wird KI bei der Polizei schon eingesetzt?
Stephan Ursuleac: Die Polizeien in den Bundesländern arbeiten teils intensiv an Projekten, um den Einsatz von KI voranzutreiben. Auch die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt erproben neue Technologien. Ein Beispiel ist, dass KI Ermittlerinnen und Ermittler dabei entlastet werden, riesige Aktenberge zu durchforsten und mühsam Zusammenhänge zwischen Verbrechen zu ermitteln. So gibt es etwa ein Pilotprojekt zur Schuhspur-Analyse in Rheinland-Pfalz: Wird an einem Tatort ein Fußabdruck sichergestellt, wird dieser in eine Datenbank eingepflegt. Und mithilfe von KI kann dann festgestellt werden, ob dieser Fußabdruck schon einmal an einem anderen Ort aufgetaucht ist. Ein anderes Beispiel ist der Bereich Kinderpornographie: Es gibt den Versuch, den Beschäftigten das stundelange Sichten von grausamem Videomaterial zu ersparen. Dafür wird KI so trainiert, dass sie Auffälligkeiten in dem Material erkennt und meldet, sodass die Polizei danach gezielter in das Material schaut. Wir sind aber noch am Anfang – es gibt bislang keine große KI -Strategie für die Polizei.
Arbeitswelt-Portal: Das sind zwei Beispiele für die Arbeit im Hintergrund. Wie steht es um Einsatzmöglichkeiten von KI für die Polizeiarbeit im öffentlichen Raum?
Ursuleac: Im Bereich Videoüberwachung hat KI großes Potenzial. Es sitzt ja nicht eine Person hinter jeder Kamera, sondern es gibt Kontrollzentren, in denen mehrere Kameras im Blick gehalten werden. Hier könnte KI unterstützen: Stellt sie zum Beispiel eine Schlägerei fest, kann sie Alarm schlagen, sodass Menschen sich das näher anschauen können. Hier gilt es, das Recht auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung zu wahren, sodass Personen nur anlassbezogen, aber nicht ständig überwacht werden. Eine Möglichkeit ist, dass Software Gesichter automatisch verpixelt.
Arbeitswelt-Portal: Welche Aufgaben wird KI vollständig oder weitgehend übernehmen?
Ursuleac: KI wird künftig immer stärker dabei unterstützen, große Datenmengen auszuwerten. Zudem kann sie Polizisten von administrativen Aufgaben entlasten. Statt jede Anzeige händisch aufzunehmen, könnte es ein digitales Anzeigenmanagement geben. Das System ordnet, zieht Verbindungen zu ähnlichen Fällen und weist Zuständigkeiten zu. In der Türkei gibt es bereits Roboter, die Raser blitzen – so muss kein Polizist abgestellt werden, um das Radargerät zu bedienen. Im öffentlichen Raum wird Robotik eine größere Rolle spielen. In eine Gefahrensituation könnte man einen Roboterhund hineinschicken statt eine echte Person. In den arabischen Emiraten werden Roboter schon auf Streife geschickt. Das ist eine interessante Möglichkeit, um mehr Polizeipräsenz zu zeigen. In zehn bis 15 Jahren werden Roboter auch viel menschenähnlicher sein, also Gestik und Mimik nachbilden können und Sensibilität zeigen. Die Frage ist aber, ob das auf Akzeptanz stößt.
Arbeitswelt-Portal: Wie meinen Sie das?
Ursuleac: Öffentliche Sicherheit ist ein hohes Gut. Die Polizei wird dann respektiert, wenn ihr Menschen vertrauen. Sind die Menschen so weit, dass sie Maschinen vertrauen? Ich gehe davon aus, dass es immer noch auf die Beamtinnen und Beamten vor Ort ankommt. Eine zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen ist in dem Bereich sehr wichtig. Aber ich kann mir vorstellen, dass Polizisten künftig von Robotern begleitet werden. Um all diese Dinge vorantreiben zu können, müsste es in jedem Bundesland eine Koordinierungsstelle geben, um Nutzen und Umsetzbarkeit zu erörtern.
Arbeitswelt-Portal: Umgekehrt werden die Sicherheitsbehörden durch KI als Waffe immer stärker unter Druck geraten.
Ursuleac: Ja, im Cyberbereich gibt es schon eine Art Wettrüsten. Die Polizei muss sich darauf einstellen, dass Verbrecher KI oder Roboter einsetzen – zum Beispiel um einen Juwelier zu überfallen. Die Täterinnen und Täter werden also immer häufiger nicht vor Ort sein. Wen verfolgt man in so einem Fall eigentlich? Solche Dinge muss die Polizei antizipieren. Bei der Polizei gibt es auch gute Leute, die das können und die in Innovationshubs unterschiedliche Szenarien proben. Das Problem ist eher die politische Ebene, die die Behörden mit ausreichend Mitteln ausstatten müsste.
Arbeitswelt-Portal: Welche Fähigkeiten müssen Beschäftigte im Bereich öffentliche Sicherheit künftig haben aufgrund der KI-bedingten Veränderungen?
Ursuleac: Es ist ein anderes Mindset nötig. Technologische Lösungen entwickeln sich immer schneller weiter. Das passt bislang nicht gut zum behördlichen Alltag, in dem vieles in klaren Strukturen geregelt ist. Es braucht Agilität, Veränderungs- und Lernbereitschaft und Kreativität, um sich schnell auf neue Lagen einstellen zu können. Polizistinnen und Polizisten sollten mit Robotern und KI künftig umgehen können.
Arbeitswelt-Portal: Welche Aufgaben wird KI auch künftig nicht übernehmen/beeinflussen?
Ursuleac: Der Mensch bleibt überall dort zentral, wo es darum geht, Ergebnisse zu bewerten und finale Entscheidungen zu treffen.
Arbeitswelt-Portal: Wie wird sich der Berufsalltag in 20 Jahren verändert haben?
Ursuleac: Es wird die heutigen Tätigkeiten immer noch geben. Aber viele Aufgaben, für die Ermittler heute stundenlang am Schreibtisch sitzen müssen, werden automatisiert. Für Polizisten wird viel Büroarbeit wegfallen. Ich denke aber, dass Polizisten auch in 20 Jahren noch auf Streife gehen werden. Aber in Problemstadtteilen zum Beispiel könnte man die Präsenz durch Roboter verstärken. Wobei die Beschäftigten dafür künftig auch mehr Zeit haben könnten, wenn sie von der Büroarbeit entlastet werden.