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Illustration Interview

Bedroht KI unsere Arbeitsplätze?

KI  kann uns produktiver machen, da sind sich die Arbeitsökonomin Melanie Arntz und die Arbeitswissenschaftlerin Verena Nitsch einig. Doch sie wird auch den ein oder anderen Job kosten.

  • Vernichtet künstliche Intelligenz Arbeitsplätze? Solange KI nur Anteile von Arbeitsprozessen übernimmt, führen die neuen Technologien in der Regel dazu, dass wir produktiver werden. KI schafft zudem sogar neue Jobs: nämlich solche, die KI-Tools erst arbeitsfähig machen – zum Beispiel in der Vor- und Aufbereitung von Daten, im Labeln von Daten und in der Verifikation von Daten. 
  • Doch was machen wir mit der Arbeitszeit, die wir dank KI gewinnen? Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder werden von den Tätigkeiten, die mithilfe von KI schneller erledigt werden können, in derselben Zeit nun noch mehr bewerkstelligt. Oder aber man verwendet die gesparte Zeit für andere, im Idealfall wertvollere Aufgaben.  
  • Künstliche Intelligenz kann überdies – zumindest in manchen Berufen – den Fachkräftemangel lindern. In vielen Berufsfeldern, in denen aktuell ein großer Fachkräftebedarf besteht, kann KI allerdings nicht helfen, weil hier Aufgaben erledigt werden, die von keiner Technologie übernommen werden können. 

Podcast

Mit.Arbeit - Bedroht KI unsere Arbeitsplätze?

Episode 1 • November 2023 • Mit.Arbeit • Rat der Arbeitswelt

Transkript

Künstliche Intelligenz – Wie verändert sie unsere Arbeitswelt?

Herzlich willkommen zur ersten Folge des Podcasts Mit.Arbeit. Mein Name ist Berit Schmiedendorf. Ich bin Journalistin und meine Berufsgruppe ist vom Thema dieser Sendung ganz besonders betroffen. Es geht nämlich heute um künstliche Intelligenz und darum, wie sich unsere Arbeit durch den Einsatz dieser Technik verändern wird. Was bewirkt KI? Nimmt sie uns schon bald die Arbeit weg? Oder schaffen ChatGPT und Google Bard sogar neue Jobs? Verdienen wir vielleicht bald mehr, weil künstliche Intelligenz uns produktiver macht? Oder können wir sogar davon ausgehen, dass demnächst drei Tage Arbeit in der Woche ausreichen, weil lästige Schreib- und Routinearbeiten künftig von schlauen Maschinen erledigt werden?

Antworten darauf geben uns zwei Expertinnen: die Arbeitsökonomin Melanie Arntz vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, deren Forschungsschwerpunkt die digitale Transformation auf dem Arbeitsmarkt ist. Außerdem begrüße ich die Arbeitswissenschaftlerin Verena Nitsch. Sie leitet das Institut für Arbeitswissenschaft an der RWTH Aachen und befasst sich mit der menschengerechten Digitalisierung. 

Es gibt ganze Bücher, die sich damit beschäftigen, KI zu umreißen und von anderen Technologien abzugrenzen. Frau Nitsch, können Sie uns eine griffige Definition - möglichst in einem Satz - geben, was KI eigentlich ist?

Verena Nitsch: Das ist immer eine sehr schöne Frage, mit der man sich beschäftigt. Eine ganz griffige Definition kann ich, glaube ich, nicht geben. Wir beschäftigen uns in der Regel vielmehr mit den Auswirkungen dieser Technologien, und in erster Linie interessiert uns natürlich die Automatisierung. Das heißt für uns, wenn wir KI  -Forschung machen, dann beschreiben wir das meistens als digitale Automatisierung oder Technologien, die Eigenschaften aufweisen können, wie sie auch Menschen zugeschrieben werden, zum Beispiel schlussfolgern, hören, sehen. Aber das ist eine sehr breite Definition, muss man zugeben.

Frau Arntz, sind Sie mit dieser Begriffsbestimmung einverstanden?

Melanie Arntz: Ich glaube, auch darüber könnte man ganze Bücher schreiben. Aber ich glaube, es hilft ein bisschen, wenn man vielleicht – so wie es auch häufig ehrlich gesagt in Umfragen formuliert wird – sagt, dass das eine Technologie ist, die in irgendeiner Form große Datenmengen aufnimmt und aus diesen Daten wiederum neue Informationen erzeugt, wofür wir üblicherweise davon ausgehen würden, dass eigentlich menschliche Intelligenz notwendig ist; also eben nicht nur Daten transferiert, sondern aus diesen Daten tatsächlich etwas Neues in irgendeiner Form kombiniert und das dann auch wieder nutzbar macht. Das ist natürlich eine sehr, sehr grobe Definition. Und wie gesagt, wir könnten jetzt lange darüber reden, aber ich glaube, damit kann man zumindest arbeiten.

Haben Sie denn heute schon mit KI gearbeitet?

Melanie Arntz: Ich muss tatsächlich nachdenken, denn manchmal ist einem das ja gar nicht so bewusst. Aber ich glaube tatsächlich: heute nicht. Aber ich habe schon natürlich mit KI  gearbeitet. Ich nutze selbst ab und an ChatGPT und solche Systeme. Und ich glaube, vielfach ist uns das gar nicht bewusst, wenn wir eine Alexa benutzen oder sowas, dass da natürlich auch KI  drin ist. Aber ja, auch im beruflichen Umfeld nutze ich es tatsächlich zunehmend.

Frau Nitsch, haben Sie heute schon KI verwendet?

Verena Nitsch: Ich habe sicherlich schon nach dem einen oder anderen Begriff gegoogelt heute oder nach einer Studie gegoogelt. Und da ist natürlich KI  drin, zumindest so, wie ich es definieren würde. Aber auch ansonsten nutzen wir viele KI  -Technologien, zum Beispiel auch zur Übersetzung: DeepL. Das sind Programme, die inzwischen zum täglichen Handwerkszeug auch in der Wissenschaft und in der Lehre gehören.

Melanie Arntz: Das nutze ich auch viel. Übersetzungs-Sachen. Ich finde, das ist eine großartige Geschichte, dass man, wenn man der englischen Sprache mächtig ist, sich einfach nochmal den Text verbessern lassen kann. Das ist eine wahnsinnig tolle Möglichkeit.

Es spart also Zeit und macht produktiver. Kann man das so sagen?

Melanie Arntz: In den Arbeitskontexten würde ich das auf jeden Fall unterschreiben.

Verena Nitsch: Ja, das kommt immer darauf an, ob man sich diese Produktivität kurzfristig oder langfristig anschaut. Also für mich würde ich sagen: Ja. Wenn ich mal einen Text übersetzen muss und es ist ein längerer Text, dann packe ich den in DeepL rein und kann mit meinem Wissen schnell drübergehen, korrigieren und kann sagen ,Ja, dieser Begriff wäre hier angebrachter als ein anderer Begriff`. Wenn ich das aber gar nicht gelernt hätte, diese Kompetenzen in der anderen Sprache gar nicht erworben hätte, weiß ich nicht, inwiefern ich da jetzt produktiver wäre. Oder ob ich dann nicht erst einmal, um diesen Vorschlag zu korrigieren, nachschauen müsste, recherchieren müsste, was denn jetzt der geeignetere Begriff wäre. Und dann stellt sich wieder die Frage, ob ich dann tatsächlich produktiver wäre insgesamt.

Das ist interessant, was Sie sagen, Frau Nitsch. Da würde ich gerne gleich noch mal darauf zurückkommen, ob es wirklich so sein muss, dass der Mensch, der KI verwendet, zwangsläufig auch immer schlauer sein muss als die KI.

Melanie Arntz: Ich würde da an der Stelle auch tatsächlich nochmal einhaken, weil ich das ganz interessant fand. Frau Nitsch sagte letztendlich, was Sie ja gerade gesagt haben: Aus ökonomischer Sicht würden wir sagen, der Mensch und die Maschine – in dem Fall die KI  – müssen komplementär sein, um wirklich produktiver zu sein. Und das sind sie eben nur, wenn der Mensch in der Lage ist, diese Technologie auch wirklich produktiv einzusetzen. Und dazu gehört eine gewisse Grundkompetenz. Das Beispiel mit der Übersetzung finde ich ein sehr gutes Beispiel: Ich kann mit einem gewissen Fundus an Wissen über die englische Sprache ein Gefühl dafür haben, welcher Satz sich tatsächlich englischer anhört. Auf den wäre ich aktiv nicht gekommen, aber ich brauche ein gewisses Grundniveau, um am Ende wirklich produktiv damit zu sein. Und wie gesagt, aus ökonomischer Sicht ist das genau diese Komplementarität. Wenn die gegeben ist, dann würden wir immer sagen, die Technologie kann uns wirklich produktiver machen.

Ich würde gerne noch mal zurückkommen auf die Ausgangsfrage, bevor wir in die Details einsteigen. Die Frage, mit der wir uns ja heute beschäftigen, lautet: Bedroht KI unsere Arbeitsplätze? Es gibt eine Studie der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs vom März 2023, wonach bis zu 300 Millionen Vollzeitarbeitsplätze weltweit durch künstliche Intelligenz ersetzt werden könnten. Andere Studien wie die der International Labour Organization vom August 2023 sind da deutlich zurückhaltender. Sie kommen zu dem Schluss, dass KI zwar viele Jobs verändern, aber nicht vernichten wird. Frau Arntz, was stimmt denn nun?

Melanie Arntz: Ich bin da sicherlich deutlich auf der ILO-Seite, weil ich auch finde, dass die Goldman-Sachs-Studie einen klassischen Fehler macht, den viele dieser Studien schon gemacht haben: nämlich auszurechnen, welche Tätigkeiten potenziell ersetzbar sind. Dann berechnet man irgendwie, welche Anteile von Beschäftigten diese Tätigkeiten ausführen und kriegt am Ende irgendeine Summe raus. Und natürlich sagen die ,Ja, das sind so die Tätigkeiten, die ersetzt werden`. Die setzen das dann aber letztendlich immer mit Arbeit gleich. Und das führt dazu, dass wir diese Zahlen dann immer interpretieren als ,Oh Gott, da gehen 300 Millionen Jobs verloren`. Es geht aber nicht um 300 Millionen Jobs, die verloren gehen, sondern um das Äquivalent von 300 Millionen Jobs an Tätigkeiten, die eine KI  potenziell übernehmen kann. Und das ist nicht genau dasselbe, denn dann spielt genau dieser Gedanke der Komplementarität eine große Rolle.

Solange dieser Anteil an Tätigkeiten, bei dem ich jetzt KI  -unterstützt werde oder wo vielleicht auch die KI  übernimmt, nicht überhandnimmt, sondern nur ein gewisser Anteil ist – und genau das sagt die ILO-Studie -  dann ist die Chance eigentlich da, dass wir mit dieser KI  anders arbeiten, produktiver arbeiten, andere Tätigkeiten ausführen, also unsere Zeit anders nutzen. Aber in den seltensten Fällen wird das dazu führen, dass der Arbeitsplatz tatsächlich durch KI  ersetzt wird. Insofern finde ich die Studie von Goldman Sachs tatsächlich eher irreführend, vor allen Dingen für Leute, die das nicht in der Gänze überblicken können.

Verena Nitsch: Ja, dem kann ich nur zustimmen. Das ist ja auch nicht die erste Studie dieser Art. Seit Jahrzehnten kommen in regelmäßigen Abständen alle paar Jahre solche Studien, die sagen, so und so viel Prozent aller Arbeitstätigkeiten können ersetzt werden. Und berechnen dann daraus, dass so und so viele Millionen Arbeitsplätze oder Jobs verloren gehen könnten. Aber auf der anderen Seite sehen wir natürlich auch den Einsatz von Automatisierungstechnik. Da fallen auf der einen Seite Tätigkeiten weg, auf der anderen Seite werden auch viele neue Tätigkeiten geschaffen. Und schließlich werden auch mehr Jobs geschaffen, wenn Unternehmen mehr und besser erwirtschaften. Denn sie investieren ja häufig auch wieder in ihre Unternehmen und engagieren dann eben auch wieder mehr Menschen, stellen wieder mehr Menschen ein und auch dadurch werden Arbeitsplätze geschaffen.

Aber was ich daran sehr interessant finde, ist, dass dieser Fokus immer noch sehr stark ist auf den Tätigkeiten liegt, die wegfallen. Und es wird nach meiner Auffassung viel zu wenig über die neuen Tätigkeiten gesprochen, die geschaffen werden für KI  . Es gibt ja viele Arbeitstätigkeiten und ganz neue Jobs, die explizit dafür da sind, eben diese KI  irgendwie arbeitsfähig zu machen – etwa in der Vorbereitung von Daten, in der Aufbereitung von Daten, im Labeln von Daten, in der Verifikation von KI  -Modellen. Da werden viele, viele neue Jobs geschaffen und darüber wird sehr wenig berichtet. Und aus meiner Sicht sollte man das mehr tun, wenn man sich mal anschaut, was das für Tätigkeiten sind. So vereinzelt ist das in diesem Jahr auch mal in den Medien thematisiert worden. Dann sieht man, dass das sehr häufig Tätigkeiten sind, die nicht besonders ideale Arbeitsbedingungen bieten: Da wird viel outgesourct, viel sogenannte Clickwork  gemacht, wo Menschen sehr einfache Arbeit, Tätigkeiten machen, den ganzen Tag lang. Das ist keine erfüllende Arbeitstätigkeit, meistens unter schlechten Arbeitsbedingungen. Und es ist häufig jenseits der Rechte, die zum Beispiel in den meisten europäischen Ländern für Arbeitskräfte herrschen. Ich glaube, das sollte man noch viel stärker thematisieren, als es in der Vergangenheit getan wurde.

Nichtsdestotrotz gibt es auch Studien mit einer anderen Aussage. Eine OECD-Studie von 2022, die Tausende Beschäftigte in sieben Industrieländern, darunter auch Deutschland, befragt hat, zeigt: In Unternehmen, die KI eingeführt hatten, sagten im Finanzsektor 20 Prozent und im verarbeitenden Gewerbe immerhin noch 15 Prozent der Beschäftigten, dass sie eine Person kennen, die ihren Arbeitsplatz in ihrem Unternehmen aufgrund von KI verloren hat.

Verena Nitsch: Absolut. Ich will auch nicht sagen, dass es nicht stattfindet, dass da nicht Arbeitsplätze wegfallen mit der Automatisierung. Wir sehen es gerade im Finanzwesen. Und die Technologien, die jetzt im Moment auf den Markt drängen, die auf den Large Language Models basieren, die also stark Aufgaben automatisieren, die mit Sprache zu tun haben oder auch Datenverarbeitung, die gibt es eben in vielen, vielen Berufstätigkeiten heutzutage. Das heißt, auch da gibt es viele Bereiche, die automatisiert werden können. Aus meiner Sicht ist es ein bisschen voreilig von Unternehmen zu sagen, diese Tätigkeiten können jetzt mit einer KI  -Technologie automatisiert werden, also wollen wir keine Menschen mehr einstellen in diesen Bereichen. Denn was wir noch ganz schlecht abschätzen können in Unternehmen, ist, welche Kompetenzen braucht man dann eigentlich in dem Unternehmen, wie werden diese Kompetenzen erworben? Also wenn wir uns das an dem Beispiel der Übersetzungssoftware anschauen: Wenn wir keine Leute dort hätten, die vorher gelernt hätten, diese Kompetenzen ohne die Technologie zu erwerben, dann wären sie in diesem Unternehmen nicht vorhanden. Und wenn man jetzt sagen würde, wir stellen keine Menschen mehr ein, die diese Sprachkompetenz haben, weil das ja DeepL für uns macht, dann gibt es diese Kompetenzen in den Unternehmen nicht. Und man kann auch ganz schlecht abschätzen, inwiefern man welche Kompetenzen dann auch längerfristig in einem Unternehmen erhalten muss.

Häufig wird in den Unternehmen meistens auf einen sehr kurzen Zeithorizont geschaut und dann wird nur geschaut: Können wir mit dieser Technologie jetzt zum Beispiel mehr PDF-Formulare bearbeiten in einer Stunde oder können wir mehr E-Mails automatisiert beantworten in einer Stunde, als wir das vorher konnten?

Melanie Arntz: Ja, ich würde auch sagen, ergänzend: Ich glaube, man kann nicht ausschließen, dass natürlich auch vereinzelt Leute entlassen werden wegen dieser Technologie. Das wird auch vorkommen. Ich finde aber bei diesen Zahlen, die Sie nannten aus dem Bericht, sagt das ja wenig darüber aus, wie viel Leute da tatsächlich betroffen sind. Also wenn 20 Prozent aus einem Großunternehmen sagen, da ist mal jemand entlassen worden, das könnte ja theoretisch jemand aus einer großen Firma sein. Das sagt über die Intensität an diesem Anpassungsende sozusagen wenig aus. Und im Grunde wissen wir auch aus der Vergangenheit: Wenn es um Technologien geht – und ich glaube nicht, dass KI  in der Hinsicht völlig anders ist – , haben Firmen sehr wohl ein Interesse daran, grundsätzlich ihre Leute zu halten. Und gucken immer auch, wie Leute im Unternehmen anders eingesetzt werden können, wenn eben solche technologischen Innovationen das Arbeitsumfeld verändern. Wie gesagt, in Einzelfällen mag das auch mal zu Entlassungen führen, aber ich denke, das ist definitiv nicht die Regel. Und das ist gerade auch in Zeiten des Fachkräftemangels nicht zu erwarten, weil es ein großes Interesse gibt, Leute, die mit einem angemessenen Aufwand  umgeschult oder weiterentwickelt werden können, auch zu halten.

Verena Nitsch: Dem stimme ich auf jeden Fall zu. Aber ich finde noch viel spannender, als nur auf die Nummer, auf die Zahlen zu schauen, wie viele Plätze fallen weg und wie viele Plätze werden neu geschaffen oder kommen neu dazu, ist es, sich tatsächlich anzuschauen: Wie verändert denn diese Automatisierungstechnik die Arbeit? Und da sehen wir ganz unterschiedliche Effekte. Auf der einen Seite sehen wir Jobs, in denen immer mehr und immer häufiger gelernt werden muss. Wo die Leute dann, wann immer eine neue Technologie eingeführt wird, erstmal lernen müssen, wie sie mit dieser neuen Technologie umgehen, also ein ständiger Bedarf zur Weiterbildung vorherrscht. Oder aber auch, weil die Leute eben in den Tätigkeiten, die sie jetzt durchführen, nicht mehr gebraucht werden und dann in demselben Unternehmen einen anderen Arbeitsplatz einnehmen sollen und dafür geschult werden sollen – insgesamt gibt es also viel Weiterbildungsbedarf. 

Aber es gibt eben auch eine ganze Reihe von Arbeitsplätzen, wo diese Technologie eingesetzt wird mit dem Effekt der Entwertung der menschlichen Arbeit. Wo Erfahrung substituiert wird, sodass auch Menschen mit weniger Erfahrung, weniger Kompetenzen diese Tätigkeiten durchführen können. Was dann meistens auch dazu führt, dass dort Personen eingesetzt werden, die weniger qualifiziert sind und auch weniger Geld bekommen. Und die dann auch weniger Aufstiegschancen haben als andere Personen, die höher gebildet sind, höher qualifiziert sind und auch mehr Chancen der Weiterbildung bekommen. Also hier scheint es so einen Polarisationseffekt zu geben, der davon abhängt, wie wir die Technologie einsetzen.

Das heißt: Die These, die wir zu Beginn der Sendung aufgestellt haben, dass der Mensch immer schlauer sein muss als die KI, die stimmt nicht immer?

Verena Nitsch: Es gibt sicherlich Anwendungen, aber es gibt eben auch viele Anwendungen, bei denen das nicht so ist, bei denen das Erfahrungswissen substituiert wird durch die Technologie.

Melanie Arntz: Aber ich glaube, dass Erfahrungswissen, auch Fachwissen, klassisches Fachwissen auch zunehmend überall verfügbar sein und entwertet wird. Also halte ich auch dieses Polarisierungsszenario für ein sehr plausibles Szenario. Vor allen Dingen – und das ist das Interessante und Neue und auch das, was vielleicht ein gewisses gesellschaftliches Sprengstoffpotenzial hat – , dass diese Polarisierung an anderen Linien verlaufen wird, als sie das vielleicht bisher tat. Wir haben ja in der Vergangenheit natürlich auch schon Automatisierungswellen gehabt. Die betrafen aber – wenn wir mal an die 70er, 80er Jahre zum Beispiel denken, so die erste Computerisierungswelle – vor allen Dingen manuelle Tätigkeiten in Fertigung und so weiter. Jetzt sehen wir eine Entwicklung, wo eine Technologie komplementär ist, sozusagen mein eigenes Wissen in Ergänzung noch wertvoller macht. Und das heißt ja am Ende immer: mehr Lohn. Auf der anderen Seite stellt sich aber die Frage, an welchen Stellen mein Fachwissen, das ich mir über 20 Jahre und auch durch ein Studium oder was auch immer angeeignet habe, eigentlich weniger wert ist? Und kann ich dadurch vielleicht auch niedrigere Löhne erzielen? Ökonomisch bedeutet das aus meiner Sicht, dass es sehr gut sein kann – und es gibt auch erste Indizien dafür, durchaus auch schon in den Daten –, dass diese Bildungsrendite, die wir in den letzten 20, 30 Jahren eigentlich immer haben steigen sehen, dass die abflacht. Das heißt nicht, dass es nicht nach wie vor Spitzenverdienste gibt, aber dass sozusagen die Polarisierung an einen kleineren oberen Rand wandert.

Anders formuliert: Die Lohnspreizung auch innerhalb eines erlernten Berufes wird aus meiner Sicht sehr wahrscheinlich zunehmen, weil es sehr stark darauf ankommen wird, wie ich die Technologie einsetze, mit welcher Technologie ich arbeite und auch welche speziellen Fähigkeiten ich vielleicht mitbringe, die es mir eben eher erlauben, auf der einen oder anderen Seite zu sein. Und ich glaube, das ist für uns alle noch eine Blackbox Wir wissen nicht genau, wo diese Linie verlaufen wird. aber ich glaube schon, dass die Technologie das grundsätzliche Potenzial hat, die Spreu vom Weizen zu trennen. Und das ist natürlich etwas, wo wir auf jeden Fall aus diversen Perspektiven hingucken müssen, weil uns das fordern wird.

Das klingt ja nicht sehr verlockend. Was bedeutet das denn tatsächlich für die Aus- und Weiterbildung? Wie kann ich denn verhindern, dass ich nicht von der KI, obwohl ich ein tolles Studium abgelegt habe, mal locker abgehängt werde?

Melanie Arntz: Das ist eine gute Frage. Also ich glaube, dass wir ganz grundsätzlich – und das ist ja auch in dieser ganzen KI  -Diskussion ein Thema, das immer wieder kommt – auch noch mal drüber nachdenken müssen: Was ist eigentlich Wissen, was Lernen, und was muss ich eigentlich lernen für diese Welt? Und es ist eben vielleicht nicht mehr das Aneinanderreihen von Fachwissen. Ich muss natürlich ein gewisses – da sind wir wieder bei dem, was Frau Nitsch am Anfang meinte – ich muss natürlich ein gewisses Grundverständnis haben, um überhaupt mit der Maschine zusammen eine fundierte Entscheidung treffen zu können und das einschätzen zu können. Aber das Anhäufen von wahnsinnig viel Wissen, weil ich es sonst nirgendwo herbekomme, das werden wir anders einsetzen müssen, diese Lernkapazitäten. Es kommt, glaube ich, in der Zukunft viel mehr darauf an, Komplexität auszuhalten, ein gutes Selbstmanagement zu erlernen. All diese Dinge werden wichtiger werden aus meiner Sicht. Also insofern fängt es da schon an, zu überlegen: Müssen wir unsere Curricula da auch ändern? Und die andere Sache ist, wenn man das jetzt mal als lebenslanges Lernen betrachtet: Ich glaube, es ist wichtig, dass wir an keiner Stelle dieses Prozesses die Lücken zwischen dem, was Leute können und dem, was sie eigentlich können müssten, zu groß werden lassen.

Verena Nitsch: Das Schwierige ist eben, dass man diese Lücke schlecht vorhersehen kann. Unternehmen möchten immer wissen: Was muss ich denn heute meinen Arbeitskräften beibringen, damit sie in fünf Jahren noch ihren Job machen können? Es gibt viele Studien, die sich damit beschäftigt haben: Was muss denn der Mensch können, um komplementär zur Technologie zu agieren? Und das Schwierige daran ist, dass man dafür vorhersehen können muss: Was kann denn die Technologie in fünf oder in zehn Jahren, und was macht dann der Mensch? Denn der Mensch macht immer das, was die Technologie nicht können soll. Und diesen grundsätzlichen Ansatz, finde ich, den sollte man auch mal hinterfragen. Warum ist das eigentlich so? Warum muss sich der Mensch immer dem anpassen, was die Technologie kann oder nicht kann? Nur mit dem Endziel, dass immer mehr von den Tätigkeiten, die wir eigentlich durchführen, von der Technologie übernommen werden und wir uns immer anpassen müssen. Ich würde mir wünschen, dass man da auch mal den Spieß umdreht und viel mehr darauf schaut, was der Mensch eigentlich auf der Arbeit braucht, um produktiv zu sein, um gesund und zufrieden zu sein, um auch seine Fähigkeiten und Fertigkeiten weiterzuentwickeln. Und die Technologie entsprechend an die Fähigkeiten des Menschen anzupassen und nicht umgekehrt?

Im Moment ist es ja eher so, dass KI uns produktiver und leistungsfähiger macht. Das heißt, die Arbeitsverdichtung wird also eher zunehmen. Frau Nitsch, Sie haben mal gesagt, dass Büroarbeitsmenschen idealerweise alle 20 Minuten aufstehen sollten während der Arbeit. Soll mich jetzt die KI daran erinnern, dass ich alle 20 Minuten eine Pause einlegen soll? Wie realistisch ist das?

Verena Nitsch: Na ja, ob wir das so gut finden, wenn eine KI  uns alle 20 Minuten sagt, wir sollen jetzt mal aufstehen? Das ist eben die große Frage. Aber ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass die Arbeit, wie wir sie durchführen, hier die Büroarbeit, vor dem Computer zu sitzen, den ganzen Tag in Kameras zu schauen, einfach nicht menschengerecht ist. Sie ist das Produkt dessen, was wir seit Jahrzehnten, Jahrhunderten eigentlich schon machen: nämlich die Arbeit an die Technik anzupassen und nicht die Arbeit auch an die Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen anzupassen. Das Ganze muss sich ja gar nicht widersprechen, aber ich glaube, wir machen uns das zu einfach, wenn wir nur an diese eine Richtung denken und nicht auch in die andere. Und die Arbeitsgestaltung so vornehmen, dass eben zunächst der Mensch betrachtet wird und wir die Technik im Dienste des Menschen einsetzen.

Melanie Arntz: Das finde ich spannend, was Sie da gerade beschreiben, Frau Nitsch. Vor allen Dingen, weil ich auch denke, dass es auch ein interessanter Aspekt ist, dass diese Technologie ja immer mehr Routinetätigkeiten übernimmt. Das heißt aber, dass das, was sozusagen für den Menschen übrigbleibt, wenn man jetzt wieder von diesem Bild ausgeht, komplexer und anspruchsvoller wird. Und ich behaupte jetzt mal: Keiner kann sich am Stück acht Stunden auf den Stuhl setzen und diese komplexen Aufgaben, kreativen Aufgaben einfach mal so wegschaffen. Das ist ja auch eine Vorstellung von Arbeit, die einfach in diesem neuen Kontext aus meiner Sicht einfach nicht mehr stimmig ist. Also die Frage ist auch: Was ist denn eigentlich Arbeitszeit? Wir sind ja Wissenschaftler, da ist das wirklich eine Frage, die absolut schwer zu beantworten ist. Also ich denke jedenfalls auch ab und an mal am Wochenende an meine Arbeit. Soll ich mir das jetzt als Arbeitszeit anrechnen? Also wann bin ich denn eigentlich kreativ? Oft fällt mir im Wald was ein, wenn ich mal spazieren gehe. Also das ist ja absolut diffus. Gleichzeitig pressen wir uns aber in eine Vorstellung von Arbeit und Arbeitsmodell, die im Grunde genommen erfunden wurde zu einer Zeit, wo man wirklich ins Büro gegangen ist, da irgendwie Akten hin- und hergeschoben hat zum Beispiel und wo man eben auch viele Routineanteile hatte, die aber natürlich auch immer eine gewisse kognitive Erholung waren. Wenn ich aber keine kognitiven Erholungsphasen mehr habe, dann kann man das System auch ganz schnell überspannen. Und dann werden wir eben am Ende gar nicht mehr produktiver, weil wir einfach nur noch untergehen in dem Informationsfluss. Und am Ende bedeutet ja Arbeit: Ich will bestimmte Arbeit erledigen. Also mehr zu überlegen: Was will ich denn eigentlich erreichen mit meiner Arbeit und wie kann ich das am besten umsetzen? Also, da bin ich wirklich bei Ihnen. Das finde ich sehr, sehr spannend, was Sie da gerade gesagt haben.

Verena Nitsch: Und Unternehmen erwerben immer mehr Technikkompetenz und digitale Kompetenzen. Aber da geht eben diese Kompetenz zur Arbeitsgestaltung ein wenig verloren. Also wenn ich jetzt zum Beispiel für ein PDF-Formular nicht mehr zehn Minuten brauche, sondern zwei Minuten, weil eine KI  mir schon viele Vorschläge macht, heißt das dann, dass ich entsprechend mehr PDF-Formulare in den zehn Minuten bearbeiten soll, wo ich vorher nur eins geschafft habe? Soll ich dann jetzt fünf bearbeiten? Oder kann ich diese gesparte Zeit dann für andere Aufgaben nehmen, die wertvoller sind – nicht nur für den Menschen, sondern auch für das Unternehmen? Aber aktuell schaut man immer nur: Wie kann man jetzt, wenn man Zeit gespart hat und immer etwas beschleunigen kann, noch mehr von derselben Aufgabe machen? Und das ist eigentlich eine uralte Frage der Arbeitsgestaltung, die aus meiner Sicht da verloren geht. Wenn man da wieder mehr Kompetenzen aufbauen würde in Unternehmen, glaube ich, kann man letztendlich nicht nur mehr Produktivität erreichen auf Seiten der Arbeitskräfte, sondern auch mehr Wertschöpfung. Und natürlich wäre das auch zuträglich im Sinne der psychischen und physischen Arbeitsgesundheit und auch der Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber. Dass die Leute auch länger für einen Arbeitgeber arbeiten möchten, wenn sie sich wohlfühlen. Wenn sie auch Möglichkeiten haben, ein wenig mehr selbst zu bestimmen, was sie im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit machen. In solche Richtungen, glaube ich, sollte man noch mehr denken, als es aktuell getan wird in den Unternehmen.

Ich würde gerne noch auf die rechtliche Lage in Bezug auf KI kommen. Frau Arntz, wie ist es denn, wenn die eingesetzte KI einen Fehler macht? Wer haftet? Der Mitarbeiter, der die KI genutzt hat oder das Unternehmen, bei dem der Mitarbeiter angestellt ist?

Melanie Arntz: Ich muss ehrlich sagen, ich bin überfragt. Ich vermute, es ist nicht abschließend geregelt, wie so vieles rund um KI  . Also momentan bewegen wir uns da rechtlich in sehr vielen Grauzonen. Es gibt ja auch ganz viele Initiativen, die da vielleicht in diesen rechtlichen Graubereich ein bisschen Klärung reinbringen. Und das ist natürlich gerade schwierig. Es gibt ja auch Unternehmen, die beispielsweise sagen, ChatGPT nutzen wir erst mal gar nicht, weil wir noch nicht so genau wissen, wie die rechtliche Situation an der Stelle eigentlich ist. Und daran sieht man zwei Dinge: Zum einen sind genau diese ungeklärten Fragen ja auch ein Hemmschuh für diese Technologien. Und das wollen wir ja eigentlich nicht. Wir wollen sie ja schon im guten Sinne nutzbar machen. Zum anderen sieht man aber auch: Es gibt eben ganz viele Fragen. Nicht nur die Haftungsfrage, sondern auch die Frage möglicher Diskriminierungen, mögliche Überwachung. Also da gibt es ganz, ganz viele rechtliche Fragen, die wir klären müssen und wo wir auch rote Linien definieren müssen, was einfach nicht geht und was nicht erlaubt ist.

KI ist ja alles andere als unfehlbar. Es gibt Ernährungs-Bots, die lebensgefährliche Tipps geben oder selbstfahrende Autos, die Menschen einklemmen oder Hunde überfahren oder Rettungsfahrzeuge behindern. Sowohl die EU mit dem AI Act als auch die UNESCO versuchen, Regelwerke zu KI zu verabschieden oder sind dabei, dies zu tun. Wie sinnvoll sind diese Initiativen? Oder anders gefragt: Bräuchte es nicht ein weltweit gültiges Regelwerk?

Melanie Arntz: Das ist wahrscheinlich wie mit dem weltweiten Klimaabkommen, oder? Also, was ich damit sagen will, ist: Wünschenswert wäre das, wie so oft. Also natürlich ist ein globaler Ordnungsrahmen, an den sich alle halten und der zumindest Mindeststandards definiert, die ja dann theoretisch jedes Land für sich noch mal ein bisschen anheben kann, wenn es das möchte, begrüßenswert. Aber wie realistisch ist das? Ich glaube, dass die EU schon gut daran tut, da auch vorzupreschen und zu sagen: Wir wollen Standards setzen, und dass wir einen Standard setzen, hat auch einen Wert für die Menschen. Und das wird am Ende eben nicht zu weniger Produktivität führen, sondern weil wir Sicherheit schaffen und weil wir am Ende die Rahmenbedingungen schaffen, dass die Technologie im guten Sinne eingesetzt wird, wird es am Ende auch die erfolgreiche Strategie sein. Ja, vielleicht geht das dann wieder wie immer zulasten von kurzfristiger Rendite, die man erzielen kann. Aber die Frage ist ja: Was wollen wir denn langfristig erreichen? Und da sind die Fragen ja sehr viel komplizierter. Und da brauchen wir eben wirklich klare rechtliche Linien. Und die werden wir auf globaler Ebene aus meiner Sicht nicht bekommen. Die Welt ist so zerpflückt, das wird nicht funktionieren meines Erachtens.

Ich würde gern noch auf einen anderen Aspekt kommen, nämlich auf KI als Problemlöser. Wenn KI uns im Idealfall dabei hilft, unsere Arbeit besser und schneller zu erledigen: Könnte sie dann nicht auch unser Fachkräfteproblem lösen?

Melanie Arntz: Ich denke, das ist eine Frage an mich als Arbeitsökonomin. Also, natürlich glaube ich schon, dass es an einigen Stellen den Fachkräftemangel abmildern kann. Natürlich ist es auch so: Technologie fällt ja nicht vom Himmel, sondern Technologie wird eingesetzt, weil es einen Grund dafür gibt. Und ein Grund kann natürlich auch sein, dass ich für bestimmte Aufgaben nur schwer Fachkräfte finde. Und dann kann es natürlich auch Anreize geben, genau in den Bereichen die Technologie voranzubringen, in denen sie diese Aufgaben auch zum Teil übernehmen kann. Und es kann sicherlich schon so sein, dass das zum Teil der Fall ist. Ich glaube aber, dass es auch ganz viele Berufsfelder gibt, in denen wir jetzt aktuell Fachkräftemangel haben, wo uns das nicht helfen wird. Weil es eben Aufgaben sind, die doch relativ wenig Berührungspunkte zu KI  haben. Und im Übrigen, das ist auch noch so ein kleiner Nebensatz, der mir nicht ganz unwichtig ist: Wir reden natürlich jetzt über einen Teil der Beschäftigung. Und viele, die jetzt vielleicht diesen Podcast hören, werden sagen: ,Na ja, das ist aber nicht meine Lebenswelt. Ich muss jeden Tag ins Krankenhaus fahren und die Patienten liegen da. Und ich? Was ist denn Homeoffice und was ist überhaupt diese ganze virtuelle Welt?` Also ich glaube, wir müssen auch ein bisschen aufpassen, dass wir hier nicht eine Debatte führen, die dann doch auch an der Lebens- oder Arbeitswelt von ganz vielen Menschen vorbeigeht.

Das heißt, KI wird den Fachkräftemangel offensichtlich nicht lösen können. Vielleicht hilft sie uns aber, eine andere Wunschvorstellung zu realisieren. Viele Vollzeitbeschäftigte in Deutschland würden ihre Arbeitszeit ja gerne reduzieren. Die wöchentliche Wunscharbeitszeit beträgt ja nur 32,8 Stunden, also deutlich weniger als 38 oder 40 oder gar 42 Stunden in der Woche. Könnte KI uns dabei helfen, das umzusetzen?

Verena Nitsch: Ich halte das einfach für utopisch, dass eine Technologie den Effekt haben kann, dass wir weniger arbeiten und dann eine Viertagewoche einführen. Denn wenn wir in vier Tagen mehr schaffen, so viel schaffen wie vorher in fünf Tagen, warum sollten wir dann nicht einfach trotzdem fünf Tage arbeiten und noch mehr erwirtschaften? Also aus Unternehmenssicht gibt es da ja keine Anreize, warum da jetzt die Arbeitskräfte weniger arbeiten sollten. Weil wir eben mehr erwirtschaften können, wenn Personen tatsächlich produktiver sind mit den Technologien – was jetzt aber erst mal noch in Frage gestellt werden muss. Das sehen wir ja auch in der Vergangenheit: Auch die Fünftagewoche war nicht ein Effekt des Computerzeitalters oder irgendeiner anderen Technologie, sondern sie war ein Effekt von gesellschaftlichen Bestrebungen. Und dann wurden Gesetze eingeführt und dann hat man Wege gefunden, wie man auch mit dieser reduzierten Arbeitszeit trotzdem wirtschaftlich arbeiten kann. Also ich glaube, in die Richtung ist es wahrscheinlicher als in die andere Richtung.

Melanie Arntz: Wobei, so ganz bin ich da nicht bei Ihnen. Ich glaube, es gibt nicht diesen unmittelbaren Effekt. Es ist nicht so, dass die Technologie kommt und – Ha! - ich lasse den Griffel fallen, Freitag brauche ich nicht mehr. Ich glaube, so ist es nicht. Aber die Tatsache, dass wir natürlich, wenn wir die letzten 100 oder 150 Jahre betrachten, definitiv einen Trend nach unten gesehen haben in der Arbeitszeit, hat schon etwas mit steigender Arbeitsproduktivität  zu tun und der Tatsache, dass wir eben auch mit einer 40-Stunden-Woche oder vielleicht auch mit einer 35-Stunden-Woche mittlerweile Einkommen erzielen können, die uns im Vergleich zu vor 100 Jahren dennoch einen besseren Lebensstandard sichern. Insofern kommen wir am Ende zu der Frage: Wird diese Technologie tatsächlich diesen Produktivitätsboom bringen, an den wir glauben? Und dann ist die nächste Frage: Wo kommt dieser Produktivitätsboom an? Bei den Besitzern der Maschinen? Wird er dazu führen, dass die Löhne steigen? Wenn die Löhne steigen und es gleichzeitig einen gesellschaftlichen Trend gibt zu: Wir wollen eigentlich noch was anderes in unserem Leben als nur arbeiten. Dann kann aus dieser Gemengelage aus meiner Sicht in einer mittleren bis längeren Frist schon ein Momentum werden, das dazu führt, dass wir vielleicht irgendwann eine Vereinbarung finden, dass drei, vier Tage in der Woche auch reichen. Da rede ich jetzt aber nicht von den nächsten zehn Jahren. Wir haben momentan so viele Aufgaben – ich glaube, wir brauchen Mann und Maus. Aber wie gesagt, in einer Perspektive der nächsten Dekaden kann ich mir so eine Veränderung schon vorstellen. Aber wir werden sehen. Also, ich glaube, das ist eine große Unbekannte.

Mit dieser angenehmen Perspektive auf künftige kürzere Arbeitszeiten sind wir auch schon am Ende der Sendezeit angekommen. Ich bedanke mich fürs Zuhören, ich bedanke mich bei den beiden Expertinnen und ich würde mich freuen, wenn Sie wieder beim nächsten Podcast Mit.Arbeit dabei sind. Tschüss!