Corona hat dem Home-Office einen großen Schub gegeben, sagt der Arbeitsmarktforscher Dr. Philipp Grunau vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Um das freistehende Potenzial zu nutzen, sollten Arbeitgeber nun besonnen agieren, die Ausstattung vorantreiben – und eine Sache auf keinen Fall tun.
Sie sagen: „Nach Corona werden mehr Menschen im Home-Office arbeiten als zuvor.“ Was macht Sie so sicher?
Philipp Grunau: Vor der Corona-Krise haben vergleichsweise wenige Beschäftigte im Home-Office gearbeitet. Grund dafür waren Vorurteile, Vorbehalte und andere Hindernisse. Im Zuge der Pandemie waren wir gezwungen, uns mit der Arbeit aus dem Home-Office auseinanderzusetzen. Viele technische Voraussetzungen, wie zum Beispiel eine vorhandene Infrastruktur und sichere Firmennetzwerke, wurden geschaffen. Inzwischen zeigt sich auch, dass sich das Bild vom Home-Office wandelt. Sowohl Betriebe als auch Beschäftigte haben positive Erfahrungen gemacht, beispielsweise die erhöhte Flexibilität, den Wegfall von Pendelzeiten oder eine hohe Produktivität. Diese Entwicklungen und Erfahrungen werden dazu führen, dass das Home-Office-Niveau nach der Krise nicht wieder auf den Ursprungswert zurückfallen wird.
Welche Lehren ließen sich aus der „Home-Office-Zeit“ während der Pandemie ziehen?
Grunau: Corona hat vielerorts Vorurteile und Vorbehalte gegenüber dem Home-Office abgebaut und durch positive Erfahrungen ersetzt. Weiterhin zeigt sich, dass die Produktivität der Beschäftigten – zumindest bei der Mehrheit – nicht sinkt. Im Gegenteil: Häufig werden zum Beispiel die wegfallenden Pendelzeiten zur Arbeit genutzt. Gleichzeitig lässt sich aus der Corona-Zeit auch die Lehre ziehen, dass nicht alle Beschäftigten im Home-Office arbeiten möchten, und es daher Lösungen für beide Gruppen braucht: Die, die im Home-Office arbeiten möchten, und die, für die die Arbeit von zu Hause keine dauerhafte Alternative ist.
Dr. Philipp Grunau studierte Sozialwissenschaften (Diplom) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und schloss 2011 sein Studium, 2016 seine Promotion ab. Seit September 2011 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsbereich „Betriebe und Beschäftigung“, seit 2017 zusätzlich am Forschungsdatenzentrum des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit.
Welche Folgen hätte eine Ausweitung der Home-Office-Quote auf unser Erwerbsleben?
Grunau: Die Corona-Krise ist in vielerlei Hinsicht eine Extremsituation, auch was das Arbeiten aus dem Home-Office angeht. Viele Probleme, z.B. in der Zusammenarbeit, ergeben sich vor allem, weil in Vollzeit aus dem Home-Office gearbeitet wird. Nach der Pandemie ist es allerdings in den meisten Fällen nicht realistisch, dass Beschäftigte fünf Tage im Home-Office arbeiten, sondern eher ein bis drei Tage pro Woche. Das wird die Zusammenarbeit vereinfachen. Natürlich wird sich der Arbeitsalltag für Unternehmen und Beschäftigte dennoch verändern, und es wird einen längerfristigen Prozess benötigen, in dem sich Arbeitsabläufe einspielen. Für die betriebliche Führung ändert sich im Home-Office in Bezug auf die Leistungskontrolle jedoch kaum etwas, denn auch im Büro ist nicht immer möglich zu kontrollieren, was der/die Einzelne tut. Wichtig ist auch hier eine Vertrauenskultur zwischen Arbeitgeber/-innen und Beschäftigten, die das Verhältnis zwischen beiden Seiten stärkt. Zudem lassen sich über Zielvereinbarungen gemeinsame Ziele bzw. Meilensteine festlegen und nachhalten, ohne jeden Schritt auf dem Weg zu deren Erfüllung kontrollieren zu müssen.
Das Home-Office bringt Vorteile und Herausforderungen mit sich, die nicht für alle Personen gleich sind. Jede/r Beschäftigte muss für sich einen Modus finden, wie und ob das Home-Office für sie/ihn funktioniert. Beispielsweise können nicht alle die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben herstellen, arbeiten länger als vereinbart oder finden keine Entspannung. Wichtig ist es daher, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihre Beschäftigten nicht zur Arbeit im Home-Office verpflichten, um zum Beispiel Büroflächen zu sparen. Verschiedene Studien belegen, dass vom Home-Office alle profitieren können, wenn die Entscheidung zwischen Remote oder Büro weitgehend den Beschäftigten obliegt – vorausgesetzt natürlich, dass die Tätigkeit dies zulässt. Interessanterweise sind diejenigen, die das Home-Office innerhalb der Arbeitszeiten nutzen und diejenigen, die ohne Homeoffice-Wunsch aus dem Büro arbeiten, ähnlich zufrieden mit ihrem Beruf.
Welche neuen Technologien werden das Home-Office in den nächsten fünf bis zehn Jahren mitverändern?
Grunau: Seit der Pandemie gibt es einen immensen Innovationsschub. Eine Analyse über Patent-Anmeldungen in den USA zeigt, dass der Anteil mit Home-Office-Bezug rasant zugelegt hat. Dieser Schub wird anhalten und nicht sofort abebben, sobald die Pandemie vorbei ist. Viele digitale Tools wie Zoom oder Teams entwickeln weitere Funktionen, die das Arbeiten aus dem Home-Office erleichtern sollen. In der Hinsicht hat Corona eine Entwicklung beschleunigt und ein Potential freigesetzt, das weiterhin bestehen wird. In den nächsten Jahren werden sicherlich viele Features und neue Anbieter mit innovativen Lösungen hinzukommen.
Und abschließend: Welche individuellen, betrieblichen und institutionellen Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit sich Home-Office stärker in Deutschland etablieren kann?
Grunau: Auch wenn das Arbeiten von zu Hause nicht jedermanns Sache ist, müsste auf individueller Ebene das Stigma gegenüber dem Home-Office weiter abgebaut werden. Hier hat sich jüngst einiges getan, aber natürlich gibt es noch immer Bedarf. Betrieblich ist die Flexibilität ein wichtiger Faktor. Zudem sollte das Home-Office nicht zu Pflicht werden. Für die Zusammenarbeit und das funktionierende Miteinander müssen klare Regelungen erarbeitet werden, sodass die Beschäftigen gleichbehandelt werden, egal ob sie aus dem Büro oder dem Home-Office arbeiten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ausstattung des Arbeitsplatzes zu Hause. Home-Office kann sowohl für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als auch für die Beschäftigten Vorteile haben. Daher braucht es einen Modus für die Aufteilung der Kosten zwischen beiden Seiten. Zuletzt müssen auf institutioneller Ebene diverse rechtliche Klärungen stattfinden, zum Beispiel in Bezug auf die Unfallversicherung oder die Ruhezeitenregelung. Die gestiegene Flexibilität im Home-Office kann dazu führen, dass die aktuelle Ruhezeit von elf Stunden nicht eingehalten werden kann, beispielsweise wenn Beschäftigte am Nachmittag Kinder betreuen und am Abend weiterarbeiten.